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Einseitiges Österreich-Bild in Frankreich

Von Michael Schmölzer

Politik

Ein stereotypes ÖsterreichBild spielt für die derzeitige Missstimmung in den österreichisch-französischen Beziehungen eine ebenso wichtige Rolle wie Jaques Chiracs innenpolitische Linie gegenüber der französischen Rechten, analysierte der französische Österreich-Kenner Prof. Michel Cullin in einer auf Einladung der Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen abgehaltenen Enquete in der Diplomatischen Akademie.


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Eingangs kritisierte Cullin die Österreich-Berichterstattung in den französischen Printmedien. Er sei erstaunt und irritiert über die größtenteils "haarsträubenden Darstellungen" , die auf weitgehende Unkenntnis der Materie gerade bei Frankreichs Intellektuellen schließen lasse:

So werde Außenministerin Ferrero-Waldner in einem führenden französichen Medium allen Ernstes mit der tragischen Figur Marie Antoinettes verglichen - für Cullin nur ein besonders krasses Beispiel dafür, dass in der französichen Einschätzung Österreichs historischer wie aktueller Realität einiges aufzuarbeiten wäre.

Denn bisher sei Österreich in den Augen der meisten Franzosen eine Mischung aus verklärter Kaiserseligkeit, Walzer und schöner Landschaft gewesen.

Inwieweit die Alpenrepublik selbst an der Verbreitung dieses Klischees aktiv beteiligt war, ließ Cullin vorsichtshalber dahingestellt.

Österreich als Karikatur

Erste Kratzer hätte diese völlig apolitische und vielleicht gerade deshalb so sympatische wie falsche Vorstellung von der Alpenrepublik durch die Affäre Waldheim 1986 erhalten. Das folgenschwere Bekenntnis des Bundespräsidenten zur "Pflichterfüllung" im Zusammenhang mit seiner Dienstzeit in der Deutschen Wehrmacht habe in Frankreich Irritation und Bestürzung hervorgerufen. Denn zuvor hätte man Österreich in seiner geschichtlichen Rolle als bewusste Antithese zum rein "deutschen" Nationalsozialismus gesehen. Besonders die politische Elite Österreichs wurde in Frankreich immer mit der Widerstandsbewegung identifiziert.

Dass auch Österreich auf eine faschistische Tradition vor 1938 zurückblickt - Stichwort Ständestaat - und in den darauffolgenden Jahren weit eher eine Täter- denn Opferrolle eingenommen hat, war laut Cullin in Frankreich vor 1986 kaum bekannt.

Um so größer war die Verunsicherung, als ab 1986 die "Causa Waldheim" und das Erstarken Jörg Haiders international die Wellen der Empörung hochschlagen ließen. Von Seiten der französischen Intelligenz wurde die These vom "typisch alpinen Fundus des Rechtspopulismus" entworfen, die breite Öffentlichkeit sah in Österreich ein Land, in dem ein unaufgearbeiteter Faschismus "fröhliche Urständ" feiert.

Das "Phänomen Haider" werde in Frankreich immer noch unter dem Schlagwort "der Ziehsohn Adolf Hitlers" behandelt, was laut Cullin auf ein gewisses französisches Unverständnis dem mitteleuropäischen Rechtspopulismus gegenüber schließen und Österreich zu einer "Karikatur" verkommen lasse.

Innenpolitische Ursachen

Das kompromisslose Vorgehen Frankreichs im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Österreich hat nach Cullin auch ganz handfeste französisch-innenpolitische Ursachen. Denn in Frankreich bestehe eine traditionelle Feindschaft zwischen dem konservativen gaullistischen Lager, dem Chirac zuzuordnen ist, und der "extreme droit" (der in französischer Diktion auch die Haider-FPÖ angehört).

Chirac habe daher immer eine kompromisslose Ausgrenzungspolitik gegen die französische Rechte betrieben und alle Annäherungsversuche verhindert. Dieses Verhalten hätte er laut Michel Cullin auch von Wolfgang Schüssel erwartet.

Lionel Jospin als Vertreter der französischen Linken sei ebenfalls an einem konsequenten Vorgehen gegen rechtsgerichtete politische Kräfte interessiert, da er mit der ambivalenten Linie Mitterands in dieser Frage endgültig brechen wolle.

Ein baldiges Ende der EU-Sanktionspolitik gegen Österreich sieht Cullin weder mit Blick auf Frankreich, noch - auf Deutschland. Entgegen anderslautender Vermutungen aus Österreich sei nicht Frankreich der alleinige Betreiber dieser Politik, denn die deutsche Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen stünde genauso fest zu den Samktionen wie Frankreich dies tue.

Die Bedingungen zur Aufhebung der Sanktionen seien im Prinzip immer noch die gleichen: Entweder die FPÖ verlasse die Regierung oder Ändere radikal ihr Wesen.

FPÖ nicht EU-konform

Ein weiterer Grund für die Vorbehalte der französischen Regierung gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ sei, dass eine gesamteuropäische Entwicklung in Richtung eines Bundesstaates mit dieser Partei nicht vorstellbar sei, meinte Cullin abschließend.