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Einst abgeschrieben, jetzt hochgejazzt

Von Walter Hämmerle

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Dieses Mal ist keine Rede von der Abschaffung des Bundespräsidenten. Dafür reden wir über einen Über-Kanzler, den es gar nicht geben kann.


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Die Debatte kam in der Vergangenheit so verlässlich wie das Amen im Gebet. Kaum tauchten am Horizont der Innenpolitik die Bundespräsidentschaftswahlen auf, entbrannte eine Debatte, ob es nicht sinnvoll wäre, den guten Onkel in der Hofburg nicht abzuschaffen.

Ein seltener Meister des flott dahingesagten Verfassungsumbruchs war Jörg Haider. Der wollte zu Beginn der Nuller-Jahre das höchste Amt der Republik mitsamt allem rundherum in den "Tabernakel der Vergangenheit" sperren. Zehn Jahre zuvor wälzte Andreas Khol recht ähnliche Ideen. Wobei man damals, als die Politik der Zweiten Republik noch fest in Händen von Rot und Schwarz war, durchaus der Ansicht sein konnte, dass Direktwahl und verfassungsrechtliche Machtfülle des Bundespräsidenten so ganz und gar nicht zu dessen realpolitisch praktiziertem Rollenverzicht passen wollten. In diese Kerbe schlugen später dann auch die Grünen in Gestalt von Peter Pilz, der das Amt für "völlig überflüssig" erklärte.

Zwischen der Leidenschaft, mit der über die Abschaffung des Bundespräsidentenamtes räsoniert wird, und der Wahrscheinlichkeit, dass in absehbarer Zeit die eigene Gesinnungsgemeinschaft reale Aussicht auf einen Einzug in die Hofburg hat, besteht eine recht offensichtliche umgekehrt proportionale Korrelation. Was einigermaßen erschöpfend die aktuelle Funkstille in der Debatte "Lasst uns doch den Bundespräsidenten abschaffen" erklärt. Dabei ging die FPÖ sogar noch zum Start des Wahlkampfs mit der diesbezüglichen blauen Lieblingsidee hausieren, doch einfach, bitte schön, die Ämter von Bundeskanzler und Bundespräsident zusammenzulegen. Aktuell hat sich aber auch die FPÖ eine Sendepause verordnet.

Parteipolitischer Opportunismus ist allerdings nur eine der in Frage kommenden Erklärungen dafür, dass dieses Mal die Abschaffungsdebatte weitgehend ausgefallen ist. Eine andere Vermutung lautet: Durch die mittlerweile massive Erosion der rot-schwarzen Republik und die zusehends prekäreren Mehrheitsverhältnisse im Parlament gewinnt das Amt des Bundespräsidenten automatisch politisches Gewicht, welches auch die öffentlich wahrnehmbare Relevanz steigert.

Hinzu kommt, dass insbesondere die kleineren Parteien die Direktwahl der Kandidaten durch die Bürger als Chance für sich entdeckt haben, durch die Nominierung attraktiver Persönlichkeiten, die Strahlkraft der eigenen politischen Botschaft weit über das ansonsten übliche Wählerpotenzial auszuweiten. Wobei die neuen - und vor allem kostengünstigen - digitalen Kommunikationskanäle ein solches Unterfangen auch noch maßgeblich erleichtern.

Kaum ist die Idee der Abschaffung vom Tisch, schlägt allerdings schon die Hypothese - und mehr ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht - einer gewichtigeren Rolle des Bundespräsidenten ins Extreme aus. Tatsächlich jazzen manche Kandidaten und etliche Medien nun das Amt zum Aufpasser, Takt- und Stichwortgeber für die Regierung hoch. Irgendwie kommt uns verlässlich das Gespür für die Grenzen des Möglichen abhanden.