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Wer in Polen Rückerstattung von nach 1945 enteignetem Vermögen einklagt, hat derzeit sehr gute Chancen auf Erfolg. Die Regierung in Warschau befürchtet allerdings exorbitant hohe Belastungen für den Staatshaushalt und will die Gesamtsumme der noch offenen Forderungen per Gesetz limitieren.
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Unter dem Druck zunehmender Restitutionsforderungen unternimmt Polen derzeit einen neuerlichen Versuch, die komplizierte Angelegenheit einer endgültigen Regelung zuzuführen. Anders als in Deutschland oder Ungarn gibt es in Polen kein Reprivatisierungsgesetz, das Fragen der Entschädigung für nach 1945 erfolgte Enteignungen generell regeln würde. Jeder einzelne Fall muss daher gesondert vor Gericht geprüft werden. Zu einer Entschädigung kommt es, wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass die Enteignung unter Missachtung der von den kommunistischen Machthabern erlassenen Nationalisierungsgesetze und -verordnungen erfolgt ist und daher auch nach dem damals gültigen Recht ungesetzlich war. Diese Vorgangsweise ist seit Langem schon Gegenstand einer grundsätzlichen Kritik, da von der Mehrheit der Polen das kommunistische Regime per se als ein Unrecht empfunden wird.
Dass die Regierung nun nach einer Regelung sucht, die tatsächlich alle Enteigneten umfasst, hat allerdings nicht nur moralische Gründe. Da Polens Gerichte dazu neigen, die Formulierung "Verstoß gegen das damals geltende Recht" sehr weit auszulegen, wächst die Anzahl von erfolgreichen Restitutionsklagen rapide an. Und dabei ist erst ein Bruchteil von ihnen überhaupt verhandelt worden. Laut Angaben des Schatzministeriums sind zur Zeit rund 55.000 Restitutionsfälle offen, der Gesamtwert der Forderungen beläuft sich auf 8,5 Milliarden Euro. Als eine der prominentesten derzeit anhängigen Entschädigungsklagen gelten die Bemühungen der Familie Habsburg, die traditionsreiche südpolnische Brauerei Zywiec zurückzubekommen.
Um eine kaum zu bewältigende Belastung des Staatshaushalts durch Restitutionsforderungen zu verhindern, will die polnische Regierung den folgenden Weg einschlagen: Zunächst soll ein zentrales Register errichtet werden, in das bis zu einem noch nicht festgesetzten Stichtag Forderungen auf Entschädigung eingetragen werden können. Berechtigt, solche Forderungen zu stellen, sollen Erben von enteigneten Personen sein, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, sofern die enteignete Person selbst zur Zeit der Enteignung die polnische Staatsbürgerschaft besaß. Ausgenommen sollen Ansprüche von Bürgern fremder Staaten sein, die bereits im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen abgegolten wurden.
Handel mit Coupons
Anders als bei früheren Projekten des Reprivatisierungsgesetzes wird der neue Gesetzesentwurf Entschädigung ausschließlich in Coupons vorsehen. Mit Hilfe dieser Coupons können dann vom Staat Immobilien erworben werden, wobei es zu diesem Zweck wahrscheinlich eigene Auktionen geben wird. Unklar ist indessen, in welchem Ausmaß auch Handel mit den Reprivatisierungscoupons zugelassen sein wird. Für jene, die ihre Coupons weder verkaufen, noch dafür Immobilien erwerben, soll es die Möglichkeit geben, sie gegen Bargeld einzutauschen, wobei sich der Staat eine Eintauschfrist von bis zu zwanzig Jahren einräumen will.
Die Coupons werden allerdings keine vollständige, sondern nur eine degressive prozentuelle Entschädigung der enteigneten Werte darstellen: Je höher der Gesamtwert des enteigneten Eigentums gewesen ist, desto niedriger soll der Prozentsatz sein, der tatsächlich entschädigt wird. Darüber, wie hoch die Reprivatisierungsquoten im einzelnen sein werden, schweigt man derzeit noch. Da Polen die Mittel für die Erfüllung von Restitutionsforderungen aus einem eigenen "Reprivatisierungsfonds" schöpft, der sich aus dem Verkauf von fünf Prozent der Aktien speist, an denen der Staat Anteile hält, ist die Reprivatisierungsquote aber zumindest in einem groben Rahmen errechenbar. Auf 2,5 Milliarden Euro schätzt der Direktor der Reprivatisierungsabteilung im Schatzministerium, Krzysztof Pawlak, die maximal erreichbare Höhe des Reprivatisierungsfonds. Werden dieser Summe Restitutionsforderungen von rund 8,5 Milliarden Euro gegenübergestellt, so lässt sich vermuten, dass die Betroffenen auf eine Entschädigung von 20 bis 30 Prozent hoffen können.
Gänzlich ausgenommen vom neuen Reprivatisierungsgesetz sollen Ansprüche auf Entschädigungen für Grundstücke sein, die in der Hauptstadt Warschau enteignet wurden. Hier steht das Schatzministerium auf dem Standpunkt, dass die Gemeinde Warschau die größte Nutznießerin dieser Enteignungen gewesen ist und sich deshalb an den Entschädigungszahlungen beteiligen muss.
Ursprünglich sollte das neue Reprivatisierungsgesetz noch vor dem Sommer in die Begutachtungsphase gehen. Die derzeitigen Turbulenzen in der Regierung von Leszek Miller, der am 2. Mai von seinem Amt zurücktreten wird, lassen allerdings Verzögerungen wahrscheinlich erscheinen.