Hefte Reaktionen auf Parks Amtsenthebung - Südkorea ist gespalten.
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Seoul. Noch vor wenigen Sekunden plärrte ohrenbetäubende Marschmusik von den riesigen Lautsprechertürmen, hoben tausende Demonstranten ihre Südkorea-Flaggen in den azurblauen Himmel und wurden patriotische Schlachtgesänge angestimmt. Nun herrscht vor dem Seouler Verfassungsgericht geradezu gespenstische Stille. Vielen der Anhänger von Park Geun-hye, darunter gestandene Senioren mit kalter Mine und Macho-Gehabe, rinnen dicke Tränen die Wangen hinab. Eine Dame in schwarzem Pelzmantel bricht zusammen und stößt archaische Trauerschreie aus.
Seit Freitag ist Park Geun-hye nicht länger die Präsidentin Südkoreas. Die 65-jährige Politikerin hätte "über die gesamte Dauer ihrer Legislaturperiode die Verfassung verletzt", die Wahrheit verheimlicht und Regierungskritiker unterdrückt, urteilte die Verfassungsrichterin Lee Jung-mi. Insgesamt dreizehn Vergehen wurden ihr zur Last gelegt, darunter Bestechung und Korruption. Einstimmig votierten die acht Richter für eine Amtsenthebung. Damit schreibt die erste weibliche Präsidentin des Landes erneut Geschichte: Noch nie wurde ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt Südkoreas gefeuert.
"Die Linken haben heute gewonnen", sagt Lee Hyeon-cheol, ein untersetzter Mann in Camouflage-Uniform, verspiegelter Sonnenbrille und mit Baseballcap. Sein Gesicht ist mit dunkler Tarnschminke eingeschmiert, auf seiner Visitenkarte stellt er sich als Armeeveteran vor. Wenn man seinen Erzählungen zuhört, dann befindet sich sein Heimatland noch immer im Kalten Krieg: "Der nächste Präsident wird nun wahrscheinlich von der Opposition kommen - ein Kommunist. Dabei haben wir jahrzehntelang gegen den Kommunismus gekämpft." Er werde mit seinen Kameraden zurückschlagen, sagt Lee, bevor er verschwindet.
Was der Park-Anhänger damit gemeint haben könnte, lässt sich nur wenige Straßen weiter in einem U-Bahn Eingang erahnen: Eine Gruppe an Pensionisten geht auf einen Fernsehjournalisten los, der sich nur mit Mühe aus dem Gedränge befreien kann. An einer Straßenkreuzung werfen Demonstranten mit Soju-Flaschen, andere schlagen die Fenster von Polizeibussen mit Stöcken ein. "Setzen wir das Verfassungsgericht in Brand", lautet einer der Parolen, die fanatische Park-Loyalisten immer wieder grölen. Laut Angaben der Nachrichtenagentur Yonhap sind insgesamt zwei Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei gestorben. Viele der 21.000 mobilisierten Einsatzkräfte sind junge Wehrdienstrekruten - und könnten die Enkel der rüstigen Senioren sein, die sie in Polizeibusse abführen.
Die fanatischen Park-Anhänger sind nicht zuletzt Spätfolge der jahrzehntelangen, ideologischen Gehirnwäsche unter den Militärdiktatoren des Landes. Bis in die 80er Jahre durchdrang eine tiefe Paranoia die Gesellschaft Südkoreas, die ihre Ursprünge im Kalten Krieg hat. Der Feind lag mit Nordkorea direkt vor der Haustür. Für alle sozialen Übel wurde das Regime in Pjöngjang verantwortlich gemacht - auch für die innenpolitische Opposition.
Heimliche Kommunisten
Dieses Freund-Feind-Schema hat bei den Park-Anhängern bis heute überdauert. Geradezu psychotisch vermuten sie hinter jeder linken Demonstration nordkoreanische Agenten oder heimliche Kommunisten. Die geschasste Präsidentin hingegen verkörpert die Nostalgie an eine Vergangenheit, als Südkorea aus den Ruinen des Koreakriegs emporstieg. Unter Park Geun-hyes Vater, dem Militärdiktator Park Chung-hee, verhieß die Zukunft Wohlstand und Nationalstolz.
Kaum einen Kilometer entfernt von Parks Anhängern haben sich die Gegner versammelt. Sie schwenken Kerzenlichter und lauschen Protestsongs. Auffällig viele junge Leute sind gekommen, um ihren Sieg zu feiern. Die Kerzenscheindemonstrationen haben nicht zuletzt eine als hedonistisch und materialistisch verschriene Jugend politisiert. Sie hat erfahren, dass ihre Handlungen etwas bewirken können.