Einwöchiger Kontakt mit den Tieren zeigte besten Effekt. | Tiergarten in Nürnberg will bald Therapie anbieten. | Nürnberg. Wir alle kennen die Bilder von schwer behinderten Kindern, die in Florida oder auf den Bahamas zusammen mit Delfinen in einem Bassin schwimmen und deren Eltern sich dadurch eine Verbesserung der Krankheitssymptome erhoffen. Doch hilft eine solche Delphintherapie wirklich? - Im Nürnberger Delphinarium sind deutsche Forscher dieser Frage nun weltweit erstmals wissenschaftlich auf den Grund gegangen. Sie haben 118 schwerbehinderte Kinder, die in Alter und Art der Behinderung etwa vergleichbar sind, in vier Gruppen aufgeteilt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die erste Gruppe wohnte mit ihren Eltern eine Woche bei Vollpension und Betreuung in einem Hotel in Nürnberg und nahm an allen Tagen an der Delfintherapie teil. Die zweite Gruppe absolvierte eine vergleichbare Therapie mit Nutztieren auf dem Bauernhof. Die dritte Gruppe nahm an der Therapie nur ambulant, also ohne in Nürnberg zu wohnen, teil. Die vierte Gruppe war eine reine Kontrollgruppe, die gar nicht an der Therapie teilnahm.
Alle untersuchten Kinder sind hochgradig kommunikationsgestört. Sie verfügen über keine oder eine stark reduzierte Verbalsprache und sind meist auch nur in geringem Umfang in der Lage, Körpersprache - also Gestik und Mimik - kommunikativ einzusetzen. An ihnen wurden vier Wochen vor, vier Wochen danach und schließlich ein halbes Jahr nach der Therapiephase verschiedene diagnostische Untersuchungen durchgeführt. Dadurch wollten die Wissenschaftler feststellen, ob bei den Kindern eine Veränderung ihres Kommunikations- und Interaktionsverhaltens während des Untersuchungszeitraumes statt fand.
Besser als Umgang mit Nutztieren?
Die Ergebnisse waren ermutigend: "Bei den Kindern, die mit ihren Familien an der Delfintherapie teilnahmen, konnten wir im Vergleich zu der Kontrollgruppe, die gar nicht an der Therapie teilnahm, signifikant größere Veränderungen in ihrem Kommunikations- und Sozialverhalten feststellen", freut sich einer der beiden Projektleiter, Erwin Breitenbach von der Universität Würzburg.
Die Veränderungen im Verhalten der Kinder, die mit den Nutztieren therapeutisch arbeiteten, waren lange nicht so signifikant. Allerdings waren das auch nur 13 Kinder, so dass diese Ergebnisse als noch nicht so gesichert angesehen werden können. Die nur ambulant behandelten Kinder zeigten zwar Veränderungen, diese waren aber nicht so signifikant wie bei jenen, die mit ihren Eltern das volle Fünf-Tage-Programm absolviert hatten.
"Unsere Ergebnisse sind für Eltern mit behinderten Kindern insofern von besonderer Bedeutung, da sie heutzutage einem kaum überschau- und einschätzbaren Therapieangebot gegenüber stehen und deshalb den Anbietern meist hilflos ausgeliefert sind", erklärt Breitenbach.
Sehr behutsame Kontaktaufnahme
Neben der Tatsache, dass Delfine aufgrund ihrer guten Steuerbarkeit und ihrer hohen Lernfähigkeit sicherlich ideale Spielpartner sind, war einer der wichtigsten Punkte für das Gelingen des Forschungsprojektes das ausgefeilte Forschungsdesign. Die Kinder wurden nur sehr langsam an den Delfin herangeführt.
Zuerst wird dem Kind gezeigt, was es mit dem Delfin spielen kann. Dann nimmmt das Kind indirekt mit dem Säuger Kontakt auf, indem es unterschiedliche Bälle oder Reifen ins Wasser wirft, die der Delfin zurückwirft. Durch einfache Handzeichen kann das Kind den Delfin dazu bringen, mit den Brustflossen zu schlagen oder zu "tanzen".
"Der spannendste Moment ist der, wenn das Kind den direkten Kontakt mit dem Delfin aufnimmt", weiß der Leiter des Nürnberger Delphinariums Lorenzo von Fersen. "Denn erst dann kann man sehen, ob das Kind sich wirklich auf die Situation einlässt oder nicht." Selbst sonst emotionell sehr zurückhaltende Kinder strahlen vor Wonne, wenn der Delfin mit der Schnauze gegen ihre Fußsohlen oder Beine stupst oder sich von ihnen streicheln lässt.
Im weiteren Verlauf der Therapie bestand auch die Möglichkeit, dass Therapeut und Kind gemeinsam ins Wasser zum Delfin gehen. Der Delfin schwimmt dann sehr nahe an beiden vorbei. Wenn das Kind diese große Nähe als nicht bedrohlich empfindet, kann es sich zuerst mit dem Therapeuten und dann sogar alleine vom Delfin durchs Wasser ziehen lassen.
Ermutigung zum eigenen Handeln
"Wir sehen bei diesen Übungen klar, wie die Kinder ermutigt werden, eigene Handlungsimpulse zu zeigen und dadurch anfangen, die Situation selbst zu lenken", beschreibt von Fersen das Verhalten. "Das Kind erlebt sich als aktiver Gestalter seiner Umwelt, was in der Folge zu einem verstärkten Einsatz der vorhandenen Kommunikationsmittel führt", erklärt er.
Alle diese Therapiestufen wurden von Videokameras aufgezeichnet und analysiert. Einen und sechs Monate nach der Therapie mussten die Familien dann Fragebögen zum Kommunikations- und Sozialverhalten der Kinder ausfüllen. Außerdem führten die Wissenschaftler ein Elterinterview und machten Verhaltensbeobachtungen. Die Auswertung ergab: die meisten Kindern, die eine Delfintherapie durchlaufen haben, sind selbstbewusster geworden und zeigen starke Verbesserungen in der Kommunikation mit den Eltern und in ihrem sozialen Verhalten. Breitenbach nimmt an, dass den Delfinen eine Art "Eisbrecherfunktion" zukommt.
Festgefahrene Muster werden aufgebrochen
Durch die Erfahrungen mit dem Delfin werden bereits vorhandene, festgefahrene Muster der Kommunikation der Kinder mit ihren Eltern aufgebrochen und dadurch entsteht Raum, gemeinsam an einer positiven Veränderungen zu arbeiten. "Außerdem entsteht bei den Kindern durch die ermutigenden Erfolgserlebnisse bei der Interaktion mit einem so großen Tier wie dem Delfin offensichtlich eine Art innerer Halt, der sich natürlich positiv auf das Selbstbewusstsein auswirkt," meint Breitenbach.
Die Ergebnisse haben dazu geführt, dass die Wissenschaftler planen, künftig im Tiergarten Nürnberg Delfintherapie anzubieten.