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Die Begeisterung der Avantgardegruppen für den Ersten Weltkrieg als Reinigung.
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Schon der Begriff Avantgarde an sich birgt eine klare Tendenz zum Kriegerischen: Kommt er doch aus der französischen Militärsprache und steht für die Vorhut der Kämpfenden, die mit dem Feind in Berührung tritt. So forderten auch die künstlerischen Avantgarden eine totale Erneuerung der Kunst und die Vernichtung jeder Tradition.
Ohne die Schuldfrage zu beantworten, ist es allemal interessant, das Verhalten einzelner Avantgardegruppen zu untersuchen. Die Kriegsbegeisterung ist aus den Manifesten des Futurismus und des russischen Konstruktivismus herauszulesen. Wenigstens die Dadaisten behielten das radikale Vokabular bei, wendeten sich aber bereits in Zürich 1915 gegen die "Dummheit" des Krieges.
Doch nicht die bildende Kunst hat in der Kriegshetze die Vorreiterrolle: Der Begriff der Avantgarde kommt aus der politischen Diktion der marxistisch-leninistischen Theorie zum einen und aus der Literatur zum anderen. Die französischen Symbolisten Charles Baudelaire, Stéphane Mallarmé und Arthur Rimbaud forderten den radikalen Bruch mit der Tradition im Sinne von Vernichtung des Bestehenden zugunsten eines totalen Wandels der Gesellschaft nach kulturellem Vorbild. Dabei stellte sich die Avantgarde über die demokratische Entwicklung. Die Avantgarden von 1910 bis 1919 zeigen sich stark männlichen Idealen verpflichtet, befürworteten den technischen Fortschritt, und zur Innovation durch die Maschine gehört die autoritäre Forderung nach einem erhabenen Menschenbild, einem eisernen, klaren Geist, nach Stärke und allein männlicher Entscheidungsgewalt.
Einer neuen Kultur entgegen
Zur Illustration griff die Kunst gerne auf den mittelalterlichen Ritter zurück, der sich gegen die herabwürdigenden "zarten Bande" weiblicher Erotik mit einem Gesamtkörperpanzer zur Wehr setzt: zu finden bei den englischen Präraffaeliten, bei deutschen Spätromantikern wie Hans Thoma und vor allem im Jugendstil, wo der "Messias militans" golden in Gustav Klimts Beethovenfries auftritt, um gegen die "feindlichen Gewalten", hauptsächlich Frauen im Verband mit tierischen Untermenschen, zu kämpfen. Jedoch konnte Klimt kaum hellseherisch den Ersten Weltkrieg schon 1902 vorausmalen. Ein Stimmungsbild der Zeit ist es dennoch.
Klimt hat den Ersten Weltkrieg aus seiner späten Produktion ausgeblendet, anders als die jungen Expressionisten. Oskar Kokoschka träumte von einem Leben mit der Salondame Alma Mahler, und als sie ihn zugunsten des Bauhausgründers Walter Gropius verließ, fiel er wohl doppelt auf den Appell zur "Reinigung" eines angeblich kranken Europa durch die Hygiene eines Krieges hinein. Denn er wollte auch seine Geliebten mit spontanem Einrücken schocken. Feuerbrand und Vernichtung sollten eine neue Kultur wie einen Phönix aus der Asche aufsteigen lassen: Religiöse Endzeitfantasien wie jene mittelalterlichen des Joachim von Fiore begeisterten nachweislich Wassily Kandinsky, Franz Marc und die Münchner Gruppe "Der Blaue Reiter", die 1911 wort- und bildstark auftrat. Sie schrieben in ihren Manifesten und Publikationen jedoch weniger vom Krieg als Erneuerung als vom großen "Primitiven", da sie an die "Volkskunst", an die Kunst der Naiven, nicht aber an Salons oder den Kunstmarkt glaubten.
Der Künstler als Märtyrer, der opferbereit wie Christus oder der heilige Georg (den Kandinsky in Variationen malte) den Kampf auf sich nimmt, ist jedoch auch der Verführte einer Kriegspropaganda, die eine Läuterung der Menschheit versprach. Als "positive Instanz" wurde der Krieg von Intellektuellen begrüßt. Das Stimmungsbild dieser männlichen Geister ist jedoch eher in Ernst Jüngers Roman "In Stahlgewittern" abzulesen als in Marcs futuristisch bewegten Bild "Tierschicksale" von 1913. Nur im Kriegsgetöse der Waffen ist der Mann ein richtiger Mann. Die Dissonanzen ließen sich auch in Musik und Theater hören.
Marc und August Macke zogen als Freiwillige in den Weltkrieg, Macke fiel bereits drei Monate danach, in Marcs Feldpostbriefen setze erst 1915 langsam ein Sinneswandel ein, der nicht verhinderte, dass er im März 1916 bei seinem letzten Einsatz vor der Freistellung als einer der bedeutendsten Künstler Deutschlands nahe Verdun den Tod fand. Kokoschka konnte verwundet und geläutert zurückkehren und mal-te sich dann als gefallener Sol-
dat Marke "Untergang des Abendlandes".
Der expressionistische Stil zeigt die Kriegswut weniger als die neuen Kunsttechniken von Futurismus und Dadaismus mit Collage und Montage, auch Film und Fotografie wurden hier bereits als Künste anerkannt. Wie weit die Auflösung des Gegenstandes als Durchbruch zum großen Geistigen durch Kandinsky ab 1910 mit der Kriegsrhetorik zusammenhängt, ist noch immer Grundlage von Disputen. Zumal der Theoretiker Wilhelm Worringer diese Tat, nicht ohne Rassismus, schon 1907 nur dem "nordischen" Künstler zutraut.
Brandstiftung
Jedenfalls ist Kasimir Ma-
lewitschs Manifest des Konstruktivismus von 1915 Brandstiftung auch dann, wenn der Gegenstand sich verbal und im Werk in Rauch auflöst. Sein weißes Quadrat auf weißem Grund ist ein Endpunkt der avantgardistischen Kunst. Die Bolschewiki glaubten nicht an die Kraft der Avantgarde und kehrten bald zum Retrostil "sozialistischer Realismus" zurück.
Das Futurismusmanifest des Dichters und Juristen Filippo Tommaso Marinetti von 1909 spricht eine eindeutigere Sprache, die weltweit anhaltendes Echo fand. Er besang in rasender Sprache die Liebe des Mannes zur Gefahr, Mut, Auflehnung und Kühnheit und tauschte die Nike von Samothrake gegen einen Rennwagen als Gipfel der Ästhetik aus. Passus 9 lautet: "Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes." Die Dynamik dieses Stils band immerhin auch Diktator Benito Mussolini an die avantgardistische Moderne.
Käthe Kollwitz und Wilhelm Lehmbruck waren im Expressionismus die großen pazifistischen Gegner ihrer Kollegen. Ihr Engagement durch Themen wie der Pietà, der Knienden oder des gestürzten, verzweifelten Menschen als kollektive Kriegerdenkmäler bezahlten sie später mit der Verfemung und der Brandmarkung als "entartet" durch die Nationalsozialisten. Konsequent ist ab 1933 die Rede von der Krank-
heit der modernen Kunst, von
der Verweichlichung des deutschen Mannes, der dann Arno Breker und Joseph Thorak die Idealbilder in Propagandapose gegenübersetzen.
Ist das große Geistige ein ewig Männliches? Verboten ist in der Kunst der Diktaturen die Abstraktion. Antifeminismus jedoch und der Ritter, die metallische Maschine Mann im Krieg als Stahlgewitter, der Untergang im Feuer - das gilt auch noch im Zweiten Weltkrieg als Idealbild. Unschuldig nicht ist die Kunst mitgegangen durch ein blutiges Jahrhundert.