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Eiszeit nach dem Bankenfrühling?

Von Analyse Von Stefan Melichar

Analysen

Finanzinstitute nützen Möglichkeiten zur Bilanzkosmetik. | Trügerische Wiederbelebung des Investmentbankings. | Rezession könnte neuen Krisenschub verursachen. | Wenn aus dem Epizentrum einer Katastrophe erste positive Meldungen nach außen dringen, ist zunächst einmal Durchatmen angesagt. Der Optimismus, mit dem die Börsen zuletzt auf die überraschend positiven Quartalsergebnisse führender US-Banken reagiert haben, ist allerdings rasch wieder verflogen. Zu fragwürdig ist das Zustandekommen der guten Zahlen, zu bedrohlich sind die noch lauernden Probleme.


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Dabei setzten die Finanzriesen aus Übersee alles daran, um mit den ersten Strahlen der Frühlingssonne das Krisenjahr 2008 möglichst vergessen zu machen: Das kalifornische Großinstitut Wells Fargo preschte mit der Präsentation neuer Milliardengewinne vor, Häuser wie die Bank of America, J.P. Morgan und Goldman Sachs folgten auf dem Fuß.

Selbst die kriselnden Finanzinstitute Citigroup und Morgan Stanley schnitten deutlich besser ab als erwartet (siehe Grafik unten).

Dass die Euphorie an den Märkten dennoch nur von kurzer Dauer gewesen ist, liegt nicht zuletzt an dem Verdacht, die Banken hätten ihre Bilanzen einfach nur schöngerechnet: Anfang April haben die USA ihre Bilanzierungsregeln für faule Wertpapiere aufgeweicht. Letztere müssen nun nicht mehr ausnahmslos nach aktuellen Marktpreisen bewertet und gegebenenfalls abgeschrieben werden. Banken dürfen stattdessen eigene Bewertungsmodelle anwenden, was - Experten zufolge - die Ergebnisse auf dem Papier im Durchschnitt um 20 Prozent verbessert.

Freispiel im Dezember

Eine zusätzliche wertvolle Möglichkeit zur Bilanzkosmetik eröffnete sich zum Jahresende 2008 den Finanzinstituten Goldman Sachs und Morgan Stanley. Diese beiden Häuser hatten im Vorjahr unter dem Druck der Finanzkrise ihren aufsichtsrechtlich privilegierten Status als reine Investmentbanken aufgegeben. In der Folge stellten sie ihr Geschäftsjahr von einem schiefen (Dezember bis November) auf ein gerades (Jänner bis Dezember) um, wodurch der Dezember 2008 berichtstechnisch weitgehend unter den Tisch gefallen ist.

Analysten argwöhnen nun, dass Goldman Sachs und Morgan Stanley diese einmalige Chance dazu benutzt haben könnten, möglichst viele Verluste in die wenig beobachtete Bilanz dieses einen Monats zu verpacken, um dann zum Jahresbeginn gut dazustehen. Tatsächlich weist Goldman Sachs alleine im Dezember 2008 (vor Abzug der Dividenden auf Vorzugsaktien) ein Minus von 780 Mio. US-Dollar aus, Morgan Stanley gar eines von 1,288 Mrd. Dollar. Zweiteres Institut hätte im (fiktiven) vierten Quartal von Oktober bis Dezember 2008 einen Verlust von 10,853 Mrd. Dollar zu verzeichnen gehabt.

Günstige Sondereffekte

Abseits diverser Bilanztricks bereitet auch die Nachhaltigkeit eines zu Jahresbeginn besonders erfolgreichen Geschäftsmodells Sorge. Gerade das in der Krise weitgehend zu Fall gebrachte Investmentbanking (speziell der Handel mit Anleihen), ist für einen Gutteil der Quartalsgewinne verantwortlich gewesen.

Laut "Handelsblatt" profitieren die zuvor ausgetrockneten Investment-Sparten der Finanzinstitute von der billigen Liquidität, die sie von der Notenbank zur Verfügung gestellt bekommen. Darüber hinaus würde der Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbanken die Kursentwicklung der Papiere vorhersehbar machen. Experten zufolge dürften derartige Sondereffekte nicht von langer Dauer sein, eine nachhaltige Erholung im Investmentbanking werde noch einige Zeit auf sich warten lassen.

Dass auf den Bankenfrühling eine neue Eiszeit folgen könnte, liegt aber hauptsächlich am Einbruch der Realwirtschaft. Laut dem Magazin "Economist" haben viele Banken nicht genügend Reserven für Kreditausfälle aufgebaut. Mit Fortschreiten der Rezession dürfte nicht nur das Kreditkartengeschäft massiv leiden, auch der Firmenkredit-Bereich gerate zunehmend unter Druck.