Brüssel · In Brüssel sind am Montag die 15 EU-Außenminister zur Vorbereitung des Lissaboner Sondergipfels über Beschäftigungsfragen zusammengetroffen. Am Nachmittag sollten die | Verteidigungsminister kurz dazu stoßen, um über die konkrete Planung der raschen Eingreiftruppe zu beraten, die von der EU bis 2003 aufgebaut werden und 60.000 Mann umfassen soll. Ein weiteres | wichtiges Thema werden in Lissabon die Sanktionen der 14 EU-Mitgliedsländer gegenüber Österreich sein.
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Bundeskanzler Wolfgang Schüssel erhält beim gemeinsamen Abendessen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag erstmals seit der Regierungsbildung die Gelegenheit, seinen 14 EU-Partnern die Lage
in Österreich darzustellen und dabei auf eine Aufhebung der "Sanktionen der Vierzehn" zu dringen. Ein offener Konflikt oder sogar Eklat etwa mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac,
einem der schärfsten Gegner der FPÖ-Regierungsbeteiligung, wird von Diplomaten nicht ausgeschlossen. Chirac, den Haider mehrmals attackiert hatte · zuletzt bezeichnete er ihn als "Westentaschen-
Napoleon" · könnte das Abendessen dazu nützen, mit der neuen österreichischen Regierung abzurechnen. Laut Brüsseler Gerüchteküche scheint Chirac zumindest eine geharnischte Gegenrede zu Schüssel zu
planen.
Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) verwies am Montag vor Beginn des EU-Außenministerrats auf eine mögliche Aufweichung der Haltung der 14 EU-Staaten gegenüber Österreich und bezog sich
dabei auf entsprechende Äußerungen aus Finnland und Italien. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Lissabon werde man die weiteren Entwicklungen sehen.
Helsinki hatte am Freitag angeregt, die wegen der FPÖ-Regierungsbeteiligung verhängten Maßnahmen nach einer "Beobachtungszeit" der österreichischen Regierung wieder aufzuheben. Auch Italiens
Außenminister Lamberto Dini hatte sich zu den EU-Maßnahmen gegen Österreich skeptisch gezeigt.
"Den Beginn einer schrittweisen Normalisierung zwischen Österreich und den 14 EU-Partnern" erhofft sich auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, wie er in einem Interview gegenüber dem "Kurier"
(Montagausgabe) erklärte. "Wir (die EU) sind eine Familie. Wenn man ein Mitglied schlecht behandelt, ist die Qualität der gesamten Familie vermindert", sagte Schüssel.
Der schwedische Ministerpräsident Göran Persson sieht die Lage weniger freundlich. Der österreichische Regierungschef werde in Lissabon schwer Gehör finden. "Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt,
der sagt, dass die 14 ihre Position gegenüber Österreich ändern werden".
Offenbar in Anspielung auf Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Belgiens Regierungschef Guy Verhofstadt, sagte Persson, er rechne damit, dass "Politiker aus anderen Ländern" die Gelegenheit
nützen würden, um Schüssel "einen Rüffel" zu erteilen. Das gemeinsame Abendessen könnte angesichts dieser Begebenheiten "dramatisch werden", so der Regierungschef.
Portugal, das zur Zeit den Ratsvorsitz inne hat, bemüht sich zur Zeit, einen Streit beim kommenden Gipfeltreffen zu verhindern, indem es eine Debatte vermeiden will. Kanzler Schüssel könne auf
eigenen Wunsch zwar die Lage in Österreich beim Diner ansprechen, die Präsidentschaft sehe aber keine Aussprache zu Österreich vor, stellte der portugiesische Regierungssprecher, Botschafter Fernando
Neves, am Rande des EU-Außenministertreffens am Montag in Brüssel fest. In EU-Ratskreisen hieß es jedoch, kein EU-Regierungschef könne gehindert werden, seine Position zur Lage in Österreich
darzulegen.
Der Generalseretär des Außenamtes, Albert Rohan, rechnet nicht mit einem Eklat beim EU-Gipfel. "Ich glaube nicht, dass es zu einer Konfrontation kommen wird, nachdem die Darlegung der
österreichischen Position ja nicht in einer öffentlichen Sitzung, sondern im Rahmen eines Arbeitsessens erfolgen wird", erklärte er am Montag der gegenüber der "Wiener Zeitung".
Der Kanzler werde selbstverständlich die Haltung der Regierung zum Ausdruck bingen, dass die Maßnahmen unfair und im Amsterdamer Vertrag nicht vorgesehen seien. Er werde auch vorbringen, dass die
erweiterten Sanktionen · etwa der Schüleraustausch · über die eigentlichen Beschlüsse der EU hinausgingen. Ich nehme an, dass die Präsidentschaft (der EU) jedenfalls, und vielleicht auch andere
Staats- und Regierungschefs dann ihre Erklärung abgeben werden, weshalb ihrer Ansicht nach diese Maßnahmen gesetzt wurden". Dieses klärende Gespräch müsse einmal stattfinden, so Rohan. Viele EU-
Staaten seien "unglücklich über die Massnahmen" und würden sehr begrüßen, wenn man im Anschluß an eine Aussprache "zu irgendeiner Prozedur kommen könnte, an deren Ende die Aufhebung der Sanktionen"
steht.
Einladung nach Wien
In ihrer Eigenschaft als OSZE-Vorsitzende hat Außenministerin Ferrero-Waldner am Montag NATO-Generalsekretär George Robertson in Brüssel über ihre jüngsten Besuche in Bosnien-Herzegowina, im
Kosovo und in Mazedonien informiert. Sie lud den NATO-Generalsekretär ein, vor dem Ständigen Rat der OSZE in Wien über Kooperationsmöglichkeiten zwischen OSZE und NATO zu sprechen. Robertson sagte
zu, im Laufe des Jahres zu diesem Zweck nach Wien zu kommen.
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, hat am Montag die sofortige Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Österreich gefordert. "Österreich hat sich nachweislich keiner
illegalen Handlung schuldig gemacht", sagte Glos in Berlin. Er begrüße den Vorstoß Finnlands, Schluss mit der bilateralen Isolierung zu machen.