Zum Hauptinhalt springen

Eklat Berlusconis im EU-Parlament

Von Veronika Gasser, Strassburg

Europaarchiv

Die italienische Präsidentschaft startet mit einem Eklat vor dem EU-Parlament in Strassburg. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi entgleiste gestern vor den versammelten europäischen Abgeordneten und hat sich damit vorerst ins politische Out katapultiert.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Antrittsrede war moderat, der Protest war noch verhalten. Bei der Abschlussrede jedoch kam es zum peinlichen Zwischenfall, der einen Sturm der Entrüstung nach sich zog: Berlusconi schlug dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Martin Schulz vor, in dem Film über den Holocaust und Konzentrationslager, der soeben in Italien gedreht wird, den KZ-Schergen bzw. KZ-Capo zu mimen. Damit nicht genug. Danach hatte er in überheblicher Manier all jene EU-Parlamentarier, die ihn unterbrechen wollten, als "Demokratietouristen" beschimpft. Damit aber ist der neue Ratsvorsitzende definitiv zu weit gegangen.

Schulz hatte in seiner Rede Berlusconi beschuldigt, durch seine fragwürdige Politik und Art der Gesetzgebung für die Verzögerungen wesentlicher demokratiepolitischer Anliegen wie den europäischen Haftbefehl, gemeinsamen Staatsanwalt und Strafverfahren sowie der gegenseitigen Anerkennung von Dokumenten verantwortlich zu sein. Außerdem sei Berlusconi der Verfolgung durch die Gerichte nur deshalb entgangen, weil die ehemalige Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine die Aufhebung seiner Immunität als seinerzeitiger EU-Abgeordneter verschleppt hatte. Schulz: "Hätte Fontaine das Verfahren damals nicht so lange verzögert, dann hätten Sie die Immunität, die Sie jetzt brauchen, nicht mehr besessen. Auch das ist eine Wahrheit, die an diesem Tag gesagt werden darf." Obendrein kritisierte der Deutsche die Äußerungen des italienischen Reformministers Umberto Bossi, "von dem jede kleinste Äußerung schlimmer ist als alles, worüber dieses Parlament gegen Österreich und die Mitgliedschaft der FPÖ Beschlüsse gefasst hat."

"6 Monate vergehen schnell"

Diese Bemerkungen brachten den Italiener aus der Fassung. Doch anstatt die Gelegenheit zu nutzen, die ihm Parlamentspräsident Pat Cox bot, um mit einer Entschuldigung die peinliche Angelegenheit zu bereinigen, beharrte Berlusconi stur auf seinem, wie er es später nannte, "Casting-Angebot". Berlusconi, der die Aufregung um seine Äußerungen in der anschließenden Pressekonferenz nicht verstehen wollte, meinte patzig: "Ich ziehe das Gesagte sicher nicht zurück, denn ich habe es ironisch gemeint. Ich hingegen bin bösartig attackiert worden." Sollte Schulz diese Ironie nicht verstehen, so sei das eben seine Sache. Sein Rat an alle, die sich mit dem KZ-Schergen nicht abfinden wollten: "Meinen Feinden sage ich, sie sollen keine Tragödie aus meinem Ratsvorsitz machen, denn sechs Monate vergehen doch recht schnell."

Doch nicht nur die "unliberalen und undemokratischen" Abgeordneten wurden düpiert, auch die Medien mussten sich Rundumschläge des Medienzars gefallen lassen. Er sprach einmal mehr von der "linken regierungsfeindlichen" Presse, die sich gegen ihn verschworen hätte, und ritt nebenbei auch eine heftige Attacke gegen die italienische Justiz, "in der die Linken ihre dialektischen Spiele veranstalten".

"Der Start der italienischen Präsidentschaft ist leider eine Pleite", resümiert Schulz nicht zu unrecht. "Dieser Mann hat gezeigt, dass er ein unkalkulierbares Risiko ist und damit allen seinen Kritikern Recht gegeben."

"Selbst demaskiert"

Denn wenn ein Regierungschef nicht in der Lage sei, ein "solch schwaches Gesäusel auszuhalten und gleich die Containance verliert, wie reagiert er erst bei einer echten Attacke?" Der deutsche Abgeordnete zeigte sich keineswegs gekränkt oder beleidigt, sondern vielmehr erleichtert, dass er dazu beigetragen habe, dass Berlusconi sich selbst demaskiert hat. "Jeder kann sich eine gewisse Zeit lang verstellen, irgendwann aber tritt sein wahrer Charakter zutage." Dies sei beim italienischen Premier eben rascher als erwartet geschehen. Eines sei jedoch klar, "so kann er nicht mehr im EU-Parlament auftreten".

Schulze ist gegen ein Vertuschen der Angelegenheit. Gegenüber der "Wiener Zeitung" betonte er, dass er einer Streichung dieser Passage keineswegs zustimmen werde. Auch die österreichischen Abgeordneten sprechen von einer inakzeptablen Entgleisung. Für VP-Abg. Ursula Stenzel ist es unverständlich, dass sich Berlusconi nach dieser "schwersten Beleidigung nicht entschuldigt". Der Vorfall überschatte damit das an sich gute Programm. Und für SP-Abg. Hannes Swoboda hat dieser "skandalöse Auftritt gezeigt, dass dieser Mann politisch, moralisch und emotional unfähig ist, eine EU-Präsidentschaft zu führen." Wenn die italienische Präsidentschaft so weiterfahre, werde es eine Fahrt ins Chaos - zum Schaden Europas. In nobler Zurückhaltung übte sich EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, eigentlich politischer Gegner Berlusconis, er wollte den verpatzten Auftakt nicht kommentieren.