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Eklat um Charlie-Berichterstattung

Von Alexander U. Mathé

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Belgischer Journalist, der provokante Seite eins infrage stellte, entging nur knapp der Kündigung.


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Manchmal ist das Rachegefühl einfach stärker; stärker vielleicht als die Werte, die man eigentlich verteidigt. Das könnte sich auch Xavier Lambert gedacht haben, als er sah, was der belgische Verlag "Sudpresse" letzten Samstag als Seite eins für seine Regionalzeitungen geplant hatte. Da prangten die Gesichter der drei Attentäter von Paris jeweils mit dem Zusatz "erschossen" über dem großen Titel: "Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan".

Nun ist "Sudpresse" auch nicht irgendein Verlag, sondern verbucht die meisten Leser des frankofonen Belgiens für sich. Lambert, der Chef einer der Lokalausgaben, hielt diesen Aufmacher zumindest für diskussionswürdig. In einem internen E-Mail an die anderen Chefs der Lokalausgaben teilte er mit, dass er mit dieser Titelseite nicht einverstanden sei und die Entscheidung für dieselbigen Fragen aufwerfe. Er schlug vor, das Thema im nächsten Redaktionskollegium aufzubringen, also jenem Treffen, das einmal pro Monat zwischen der Chefredaktion und den Chefs der einzelnen regionalen Ausgaben stattfindet.

Dieses E-Mail fand schon bald seinen Weg zum Chefredakteur, dem dieses Aufbegehren gar nicht gefiel. Er sah darin den inakzeptablen Akt des Aufwiegelns eines bösartigen Querulanten. Dabei war die Ausgabe nach ihrem Erscheinen auch von zahlreichen anderen Personen in den sozialen Medien kritisiert worden. Doch der Chefredakteur wies Lambert am Dienstag die Tür, am Mittwoch sollten die Details der Kündigung ausgearbeitet werden, berichtete die belgische Zeitung "La Libre".

Von der Führung von "Sudpresse" hieß es, dass die Bestrafung nichts mit der von Lambert ausgedrückten Kritik zu tun habe. Es sei vielmehr die Tatsache problematisch, dass er diese über Umwege angebracht habe. Außerdem habe es in der Vergangenheit bereits andere Vorfälle gegeben, dies sei nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.

Doch Journalistengewerkschaft und Journalistenkollegen lief Sturm gegen die Kündigung. Der Redaktionsrat der Qualitätszeitung "Le Soir" - der zweitgrößten frankofonen Zeitung in Belgien - schrieb an die Leitung von "Rossel", den Dachverlag, unter dem beide Zeitungen erscheinen, dass er es als "inakzeptabel ansieht, dass ein Journalist entlassen wird, weil er eine redaktionelle Entscheidung debattieren wollte".

Die Zeitung "L’Avenir" schrieb: "Den Kopf eines Journalisten rollen zu lassen, der eine Diskussion fordert, während alle Welt das Wort ,Meinungsfreiheit‘ auf den Lippen hat, kann schon für Emotionen sorgen." Schließlich gab Sudpresse bekannt, dass Lambert nicht gekündigt werde, während dieser "aus freien Stücken" anerkennt, dass er sich "sehr ungeschickt benommen" habe und die Ereignisse "nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun" haben.