Seine Tanzkunst ließ in den 1930er Jahren Millionen Menschen die bittere Realität der Wirtschaftskrise vergessen: Am 22. Juni jährt sich der Todestag von Fred Astaire zum 25. Mal.
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"I have never used it as an outlet or as a means of expressing myself. - I just dance."
Mit dieser lapidaren Feststellung endet die 1959 erschienene Autobiographie des bedeutendsten Tänzers der Filmgeschichte. Was den Zusehern als ästhetisch vollkommen erscheint, ist für ihn selbst also weder ein Ventil für Gefühle noch ein Mittel, um sich auszudrücken. Nein, er belässt es beim sphinxartig-selbstironischen "Ich tanze einfach", womit "Mr. A.", wie ihn die Crew-Mitglieder seiner Filme ehrfurchtsvoll nennen, seine wohl liebenswürdigste Eigenschaft offenbart: Bescheidenheit.
Bei all dem erlangten Ruhm und der verkörperten Eleganz ist Fred Astaire zeitlebens der ungekünstelte Junge aus Omaha, Nebraska, geblieben. Und das, obwohl man dem am 10. Mai 1899 ebendort als Frederick Austerlitz Geborenen in Österreich mitunter sogar burgenländische Wurzeln andichtet.
Im Schatten der älteren Schwester
Wahr ist immerhin, dass Freds Vater, Fritz Austerlitz, ein aus Linz stammender Unteroffizier der k. u. k. Armee gewesen ist, der in den 1890ern der Donaumonarchie den Rücken kehrte, um sein Glück im mittelamerikanischen Brauereigeschäft zu versuchen. Nach der Heirat mit Ann Geilus, deren Familie aus dem Elsass zugewandert ist, erblickte zunächst die Tochter Adele das Licht der Welt, eineinhalb Jahre später folgte Fred.
Es war seine Schwester, die bereits im zarten Alter von sechs Jahren Eltern und Lehrer mit Vorwitz und Showtalent entzückte, und so schmiedete Mutter Ann einschlägige Karrierepläne für ihre Kinder. Dabei schien es ihr nichts auszumachen, dass der kleine Fred weder Begeisterung noch sonderliche Begabung fürs Tanzen zeigte. Ob er wollte oder nicht - er musste seinen Part in den komischen "Brother & Sister Acts" übernehmen, mit welchen das Geschwisterpaar durch den US-Vaudeville tingelte. Schließlich ließ man sich in New York nieder, wo dem Paar nach fundierter Ausbildung 1918 der Sprung an den Broadway gelang.
In New York hoben die Astaires in den Goldenen Zwanzigern fulminante Musicals aus der Taufe - "Lady Be Good", "Funny Face" und "The Bandwagon", um nur die bekanntesten zu nennen - und wurden bei ihren Gastspielen auch vom Londoner Publikum bejubelt.
1932 jedoch sagte Adele den Brettern Goodbye, heiratete in die englische Aristokratie ein und lebte fortan als Lady Cavendish im südirischen Lismore Castle. Bis dahin war sie der eigentliche Star des Duos - ihr schien alles mühelos zu gelingen, während der ständig mit sich unzufriedene Fred zahllose Probestunden darauf verwendete, seine tänzerischen Fähigkeiten zu perfektionieren. "Moaning Minnie", wie Adele ihn seiner Meckerei wegen scherzhaft nannte, konnte auf dem Broadway ohne die Schwester zwar noch beachtliche, aber keine durchschlagenden Erfolge mehr erzielen, und so sah der von Kritikern als "schwesterlos" Abklassifizierte seine Chance im neuen Medium Tonfilm.
Seinerseits frisch vermählt mit der Society-Schönheit Phyllis Potter, bestieg Astaire 1933 ein Propellerflugzeug Richtung Hollywood, denn die RKO hatte ihn für 1500 Dollar pro Woche unter Vertrag genommen. Ohne Idee, wie sie den Ex-Broadway-Star am besten einsetzen könnten, liehen die Studio-Bosse ihn gleich einmal an die MGM aus, wo er als fröhlich hüpfender Aufputz von Joan Crawford in "Dancing Lady" ein hinlängliches Leinwanddebüt ablieferte.
Zurück bei der RKO, wurde Fred in "Flying Down To Rio" als munterer, aber sexuell reizloser Kumpel des Hauptdarstellers besetzt - dem er prompt mit einer einzigen Tanzszene den Rang ablief: Stirn an Stirn mit der Sou-brette Ginger Rogers swingt er sich mit dem Carioca in die Herzen der Zuschauer. Nun lag der weitere Weg für alle klar auf der Hand - Astaire und Rogers wurden zu den neuen Tanzstars am Zelluloidhimmel aufgebaut.
Schon der nächste Streifen "The Gay Divorcee" war ganz auf die beiden zugeschnitten und enthielt alle Ingredienzien ihrer künftigen Kinoauftritte: Forscher junger Mann verliebt sich in attraktive junge Frau, die sich von seinen kecken Kommentaren kaum beeindruckt zeigt. Sie erliegt seinem Charme erst, wenn er sie zum Tanz verführt. Jetzt endlich knistert die Erotik - jedes schmeichelnde Beiwerk ist überflüssig, sobald ihre Körper sich im Takt der Musik wiegen. Nachfolgende Komplikationen in den simplen Plots zögern lediglich das obligatorische Happy End hinaus, wobei flotte Steppeinlagen und ironisch-witzige Dialoge alle zehn Astaire-Rogers-Werke vor platter Gefühlsduselei bewahren.
Zelluloidzauber als Eskapismus
Mit "Top Hat" (1935) erreichte das Tanzpaar, das übrigens stets kollegial-höflichen Umgang miteinander pflegte, den Höhepunkt seiner Zusammenarbeit. Der Film war mit einem Einspielergebnis von über drei Millionen Dollar der kommerziell erfolgreichste der RKO in den 1930er Jahren, und Fred Astaire erhielt mittlerweile die stattliche Gage von 150.000 Dollar pro Streifen. Die berühmte Steppnummer "Top Hat, White Tie, And Tails" bescherte ihm zudem seine Markenzeichen: Frack und Zylinder.
Es folgten weitere Produktionen wie "Swing Time" (1936) und "Shall We Dance" (1937), die exakt den Nerv des Publikums trafen. Die von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit Gebeutelten strömten scharenweise in die Kinos, um gemeinsam mit ihren Leinwandlieblingen in schillernde Art-deco-Kulissen zu entfliehen. Die Flucht gelang deshalb so reibungslos, weil sie kindliche Sehnsüchte nach dem Idealbild des kultivierten Erwachsenseins befriedigte. Dass Fred und Ginger nicht bloß tanzten, um die Handlung unterhaltsam aufzubessern, sondern vielmehr ihre Liebesgeschichte durch Tänze erzählen - darin lag ein besonderer Reiz.
So gelang es Fred Astaire, der nahezu alle Auftritte mit Assistenz seines Leibchoreographen Hermes Pan selbst entwickelte, das Filmmusical vom trivialen Spektakel zur formvollendeten Kunstgattung zu erheben. Da er jede denkbare Emotion in Bewegung umsetzen konnte, bestand Astaire auf Kamerafahrten, die seinen Körper als Ganzes im Bild halten, und auf langen Sequenzen, die ohne Schnitt gedreht wurden.
Und nicht nur das - er choreographierte auch sein Schauspiel. Wenn er etwa mit fingerfertiger Lässigkeit die Spielkarten mischt oder die Hand zum nonchalanten Gruß hebt, zeigt er uns ausschließlich das wie zufällig hingeworfene Endergebnis. Von der schweißtreibenden Perfektionsarbeit, die Astaire - inklusive seiner bisweilen verzweifelnden Truppe - zuvor geleistet hat, befällt uns nicht die leiseste Ahnung. Ginger Rogers bringt es im Vorwort der Astaire’schen Autobiografie "Steps In Time" versöhnlich auf den Punkt: "Mr. A’s target has always been quality, with a capital ,Q‘!" ("Mr. A’s Ziel war immer die Qualität, mit großem Q!")
Unversiegbarer Reichtum an Ideen
Trotz des kolossalen Erfolges mit Rogers, fürchtete Astaire im Laufe der Dreißigerjahre, erneut nur auf eine Partnerin festgelegt zu werden. Als sich gegen Ende der Dekade etwas Müdigkeit in die Serie einschlich, ermöglichte die RKO ihren Tanzgrößen einen glänzenden Abtritt. In der Folge wandert Fred von Studio zu Studio, brilliert mit jeder verfügbaren rhythmusfähigen Diva von Rita Hayworth über Judy Garland bis Audrey Hepburn und kann sich neben jüngeren, deftigeren Gefolgsmännern wie Gene Kelly weitere zwei Jahrzehnte im Filmmusical behaupten.
Sein fester Wille, sich nicht zu wiederholen, und der Gebrauch von fotografischen Spezialeffekten erweisen sich als kontinuierliche Quelle außerordentlicher Schöpferkraft. Astaires Können als Entertainer ist universell. Abgesehen von seiner Meisterschaft im Tanz, spielt er schmissig Klavier und Schlagzeug und komponiert eigenhändig. Berühmte Songwriter wie Irving Berlin, George Gershwin und Cole Porter strahlten vor Freude, wenn er ihre Lieder mit seiner lyrischen Stimme vorstellte. Noch Ende der 1950er - Fred war mittlerweile 60 - wirbelte er mit gewohnt flinken Füßen und gewandter Grazie über die Leinwand. Er trat erst ab, als das gesamte Genre sich aus dem Kino verabschiedete.
Doch er wäre nicht Mr. A, hätte er sich nun bequem aufs Altenteil zurückgezogen. In Kooperation mit der geschmeidigen Barrie Chase verlegte er sich auf TV-Specials, räumte eine Riege von Emmy-Awards ab und eroberte ein weiteres Mal neues Terrain, indem er sich im letzten Lebensdrittel eine Laufbahn als Charakterdarsteller aufbaute. Egal, ob er den zynischen Wissenschafter in einer Welt nach der Atomkatastrophe gab ("On The Beach", 1959) oder in die Rolle des kauzigen irischen Landarztes schlüpfte ("The Purple Taxi", 1977) - er tat es ehrlich und glaubwürdig.
Vermächtnis einer Stil-Ikone
Im Gegensatz zu Astaires Karriere verlief sein Privatleben wenig glamourös. Sorgsam schirmte er seine Familie vor der Öffentlichkeit ab. Die Freizeit verbrachte er mit Ehefrau Phyllis und den beiden Kindern Fred junior und Ava meist zurückgezogen in seiner Villa in Beverly Hills. Ab und zu spielte er eine Runde Golf oder unterhielt sich beim Pferderennen. Als Phyllis 1954 an Lungenkrebs starb, war Fred verzweifelt und blieb fürs nächste Vierteljahrhundert Single - bis er mit 81 die 45 Jahre jüngere Rennreiterin Robyn Smith heiratete.
Am 22. Juni 1987 erlag Fred Astaire im Alter von 88 Jahren einer Lungenentzündung. Er hinterließ uns ein aus der bunten Masse des Showbusiness hervorstechendes Lebenswerk, das 1981 mit dem Life Achievement Award ausgezeichnet wurde.
Unvergessen bleibt nicht nur sein beispielloser Tanzstil, sondern auch sein einzigartiger Charme. Zwar kann Astaire nicht als gutaussehend im herkömmlichen Sinn gelten - beispielsweise macht er aus seiner endlosen Suche nach dem perfekten Toupet nie ein Hehl. Doch die Maßanzüge aus der Savile Row trägt er mit derart legerer Noblesse, dass seine kleinen Modemarotten (etwa Krawatten, die als Gürtel fungieren) weltweit Nachahmer finden.
Wer heute angesichts schwieriger werdender Zeiten in Melancholie verfällt, der führe sich alte Fred Astaire-Filme zu Gemüte. Sie wirken wie Antidepressiva. Ihre unmissverständliche Botschaft lautet: weitermachen - trotz ächzender Knochen!
Helga Schimmer, geboren 1967, lebt als freie Schriftstellerin im östlichen Niederösterreich. Sie verfasst Sachbücher, Ratgeber, Romane und Kurzgeschichten. Zuletzt erschienen: "Mord in Wien. Wahre Kriminalfälle" (Haymon Verlag, Taschenbuch). www.schimmer.at