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Slowakei: Schon unter Volksschulen harter Wettkampf. | Motivierte Lehrer werden verzweifelt gesucht. | Preßburg. "Wir nehmen gern Schüler jeden Jahrgangs auf" - der Aushang an einer Volksschule im Herzen der slowakischen Hauptstadt erweckt beim Betrachter fast schon Mitleid. Die Einschreibung für die kommenden Erstklässler fand schließlich schon im Februar statt. Der Schülerbestand sollte also gesichert sein. Und doch bettelt die Schule förmlich um Neuzugänge. Seit drei Jahren ist so etwas in der Slowakei Normalität.
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Im Jahre 2004 wurde die Zuständigkeit für die Volksschulen - wörtlich übersetzt heißen sie "Grundschulen" - auf die Kommunen, konkret auf die Ortsbürgermeister, übertragen. Diese haben allerdings kaum Geld, und so wird jede Volksschule, die sich nicht rechnet, geschlossen.
Daher findet ein harter Wettbewerb um Schüler statt. Jede Volksschule präsentiert sich zu Jahresbeginn mit ihrem Angebot für Schüler der Klassen eins bis neun in den örtlichen Zeitungen. Bisweilen klingt das geradezu traumhaft: In Preßburg können Eltern etwa zwischen Schulen mit Swimmingpool oder Chinesisch als regulärem Fach wählen.
Vieles existiert freilich nur auf dem Papier. Zu ihren Zusatzaktivitäten wurden die Volksschulen nämlich schlichtweg per Ministererlass verdonnert; sie sollten ein erster Schritt sein, um das marode Schulwesen wieder flott zu machen.
Es hapert besonders an den Grundfesten des Schulwesens. Nach der Revolution von 1989 wurden viele politisch vorbelastete Pädagogen an den Volksschulen weiterbeschäftigt, weil sie dort den vermeintlich geringsten Schaden anrichten würden. Im übrigen ist das Gehalt dort mit durchschnittlich umgerechnet 375 Euro so niedrig, dass der Lehrerberuf vor allem für junge Leute alles andere als ein Traumjob ist. Daran wird sich auch nicht viel ändern, wenn die Gehälter wie von der Regierung angekündigt zum nächsten Schuljahr um umgerechnet 30 Euro steigen.
Niveau ist gesunken
Dabei waren die Slowaken einmal sehr stolz auf ihre Volksschulen. Auch wenn wohl nur die wenigsten wieder in einem kommunistischen System leben möchten, sagen doch viele, dass man "das" nach 1989 ruhig hätte so lassen können. Mit "das" meinen sie die einheitliche Volksschule mit neun Klassen, die sich in zwei Stufen teilte, nämlich Schulanfänger und Kinder ab der fünften Klasse, und die jeder absolvierte. Dieses System hatte bei aller politisch motivierten "Gleichmacherei" auch der begabtesten Schüler zumindest zwei Vorteile: Jeder Schüler wurde nach neun Jahren mit einem auch international vergleichsweise breitgefächerten Wissen entlassen, und sie lernten, miteinander auch dann auszukommen, wenn sie ganz unterschiedliche Begabungen hatten. So waren die ersten Investoren, die in die Slowakei kamen, trotz aller Kritik an der Regierung des autokratischen Premiers Vladimír Meciar, völlig begeistert von den hervorragend ausgebildeten und willigen, aber auch vergleichsweise günstig zu bekommenden Arbeitskräften.
Dem System nach sind die Grundschulen noch heute so organisiert wie vor 1989, sind also weiterhin in neun auf zwei Stufen verteilte Klassen unterteilt. Anders als früher müssen die Volksschulen heute aber mit etlichen anderen Bildungseinrichtungen konkurrieren. Ab der fünften Klasse können die Schüler zum Beispiel auf Gymnasien wechseln, wenn ihre Eltern dies beantragen und sie entsprechende Aufnahmeprüfungen bestehen. Die Gymnasien haben eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Es gab sie schon während des Kommunismus. Im Jahr 1968 wurden sie als allgemeinbildende Mittelschulen wieder ins Leben gerufen, die begabte und politisch einwandfreie Schüler innerhalb von vier Schuljahren auf ein Hochschulstudium und qualifizierte Arbeit vorbereiten sollten. Der Wechsel aufs Gymnasium war nur mit einem Volksschulabschluss möglich. Die Entscheidung darüber, wer ein Gymnasium besuchen durfte, oblag dem Staat.
Trend zu Privatschulen
Seit der Revolution von 1989 gibt es auch Gymnasien mit acht Jahrgangsstufen. Ein Wechsel von der Volksschule aufs Gymnasium ist jederzeit möglich, solange ein Schüler die fünfte bis neunte Klasse der Volksschule besucht.
Immer mehr Eltern melden ihre Kinder auch bei Privatschulen an, weil Volksschulen mittlerweile in dem Ruf stehen, dass den Schülern dort kein Wissen mehr vermittelt werde. Das kommt nicht von ungefähr.
Nur zu oft und zu gern beugt sich die Leitung einer Volksschule nämlich dem Druck unzufriedener oder zahlungskräftiger Eltern, die oft erfolgreich damit drohen, ihr Kind eben auf eine andere Schule zu schicken, wenn ihrem Willen nicht entsprochen werde. Da es in der Slowakei anders als beispielsweise in Deutschland kein Gesetz gibt, das die Absolvierung der Schulpflicht an den Besuch der zur elterlichen Wohnung nächst gelegenen Schule knüpft, und ein Schüler ein Schulkollektiv jederzeit verlassen kann - vor 1989 wurden nur "Störenfriede" aus einer einmal bestehenden Schulgemeinschaft entfernt -, zeigen solche Drohungen zumeist die erwünschte Wirkung.
Gute Noten scheinen also käuflich und damit kein Maßstab mehr für Schüler, die mehr von einer Schule erwarten als nur ein schönes Zeugnis. Genau vor der Lösung dieses Problems drücken sich slowakische Bildungspolitiker seit gut einem Jahrzehnt. Allen anderslautenden Bekenntnisse zum Trotz beschränkt sich Bildungspolitik schon seit langem auf eine Diskussion über die Hochschulen und werden die Gelder vor allem für die Volksschulen von Jahr zu Jahr weiter gekürzt. Selbst elementare Bildung ist schon zu einem Privileg geworden für diejenigen, die es sich leisten können. Darüber hinaus zahlt man eben für zusätzliche private Angebote, wenn man unzufrieden mit seiner Schule oder dem dortigen Bildungsangebot ist.
Bildung ist Chefsache
Erst vor zwei Jahren wurde in der Slowakei die Initiative "Lebenslanges Lernen" verabschiedet. Ministerpräsident Robert Fico hat außerdem in seiner Regierungserklärung Bildung zur Chefsache erklärt. Aber ein Ansatz zu einer konkreten Verbesserung der Situation an den Volksschulen ist noch nicht zu erkennen. Da slowakische Schüler im Zusammenhang mit den Pisa-Studien wenigstens derzeit noch vergleichsweise ordentlich abschneiden, wenn sie nur wenige Plätze hinter Österreich oder Deutschland im Mittelfeld landen, scheinen die Probleme zumindest nicht allzu dringend. Doch das wäre ein Trugschluss.