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Elementarereignisse

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Nach diesem Beben ist Solidarität angesagt.


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"Griechenland wird sofort helfen." So lautete die Botschaft des griechische Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis nach dem schweren Erdbeben in der Türkei.

Die Hilfe ist hochwillkommen, denn Griechenland verfügt über erfahrene Rettungskräfte, da auch Hellas immer wieder von starken Beben erschüttert wird. Zwischen Athen und Ankara gibt es seit Jahrzehnten einen Inselstreit in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer, in den vergangenen Monaten hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sogar mit einer Invasion griechischer Inseln gedroht.

1999 konnte "Erdbebendiplomatie" einen Beitrag zur Entspannung der Beziehungen beider Länder leisten: Damals erschütterte ein schweres Beben die Region südlich von Istanbul, 18.373 Menschen verloren ihr Leben, es gab 48.901 Verletzte. Die rasche Hilfe Griechenlands leistete vor 24 Jahren einen wichtigen Beitrag zur Entspannung zwischen beiden Ländern.

Vielleicht gelingt Erdbebendiplomatie auch im Jahr 2023. Doch nicht nur Griechenland hat Hilfe zugesagt, aus der gesamten EU gibt es Angebote an Ankara. Denn nun ist ein starkes Zeichen europäischer Solidarität mit den Menschen der Türkei gefragt.

Die Türkei liegt eben nicht nur an plattentektonischen Verwerfungen, sondern auch an geopolitischen Bruchlinien. Politische Rappelköpfe wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan leben von Spaltung und Zwietracht: Aber nach diesem Elementarereignis - bei den jetzt schon klar ist, dass mehr als 1.500 Menschen in der Türkei (und mindestens 800 in Syrien) ihr Leben verloren haben - sind Einigkeit und Zusammenhalt angesagt. Rasche und entschlossene Hilfe setzt dem kantig-demagogischen Narrativ Erdogans eine andere, sanftere, alternative Realität entgegen.

Dieses wohl stärkste Erdbeben seit 100 Jahren ereignete sich in der Türkei, die 2023 den 100. Jahrestag seit der Staatsgründung feiert.

Für Erdogan ein schicksalhaftes Jahr: Erst vor wenigen Tagen hat der türkische Präsident den Termin für die Präsidentschaftswahlen mit dem 14. Mai festgelegt. Der vernichtende Tremor von Gaziantep rückt alle politischen Turbulenzen der vergangenen Monate zurecht: Erdogans Zündeln in Syrien, den Streit um die Hoheitsgebiete in der Ägäis und die Blockade des Nato-Beitritts Finnlands und Schwedens sind eben das, was sie sind - politische Spielchen eines Populisten, der Feindbilder sucht.

Doch eine bebende Erdkruste eignet sich nicht als Gegner, sondern sie demonstriert, dass es etwas Mächtigeres gibt, als den Menschen - nämlich elementare Naturgewalten. Die Bebenopfer brauchen jetzt rasche und umfassende Hilfe.