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Elisabeth Badinter

Von Christina Bylow

Reflexionen
"Lasst Euch keine Schuldgefühle einreden" - Elisabeth Badinter (r.) im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Christina Bylow. Foto: privat

Die französische Philosophin Elisabeth Badinter beklagt die Rückschritte der Gleichberechtigung in Zeiten der Krise, kritisiert die neuen Mutterschaftsideale und das unfeministische Bewusstsein der jungen Frauen - und sie erklärt das Geheimnis ihrer jahrzehntelangen Ehe.


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"Wiener Zeitung": Madame Badinter, warum bezeichnen Sie sich als mittelmäßige Mutter? Elisabeth Badinter: Weil ich Fehler gemacht und falsche Entscheidungen getroffen habe. Ich war nicht perfekt, ich habe nicht nur an meine Kinder, sondern auch an mich gedacht, eigene Interessen und Ambitionen verfolgt, mein Liebesleben gepflegt. Wenn man all das tut, gilt man als mittelmäßige Mutter.

Aber inzwischen ist die berufstätige Mutter doch weithin akzeptiert. Vor allem in Frankreich, wo eine Frau mit vier Kindern sogar Präsidentschaftskandidatin sein kann. Wie kommen Sie zu Ihren düsteren Prognosen vom Ende der Gleichberechtigung? Schafft Sarkozy die Krippen und Ganztagsschulen ab?

Es ist nicht so, dass man in Frankreich die Möglichkeiten der Kinderbetreuung kürzen würde - das nicht. Übrigens ist die Infrastruktur der Kinderbetreuung auch in Frankreich nicht ausreichend. Es ist die ökonomische Krise, die für die jungen Frauen in Frankreich alles in Frage stellt, was die Generation ihrer emanzipierten Mütter erreicht hat. Diese jungen Frauen sagen sich: "Während meine Mutter arbeitete, gab es keine Krise - und trotzdem stieß sie in ihrer Karriere an die gläserne Decke, trotzdem hat sie weniger verdient als die Männer. Sie hatte die doppelte Arbeit, den doppelten Stress, und wer hat dafür bezahlt? Ich! Meine Mutter hatte nicht genug Zeit für mich, sie hat mich nicht gestillt, sie hat mir zu wenig gegeben." Die scharfe Kritik der jungen Frauen an ihren Müttern kam mit der Krise hoch.

Sind die jungen Frauen in Frankreich die Verliererinnen der Krise?

Die junge Generation in Frankreich ist stark betroffen. Es ist für sie sehr schwierig geworden, eine angemessen bezahlte Arbeit zu finden. Die Jungen mussten zuschauen, wie die Arbeitswelt teilweise stillgelegt wurde. Daraus entstand eine ablehnende Haltung gegenüber der Welt ihrer Eltern, die sie für die Krise verantwortlich machen, und denen sie nun "Konsumismus" , "Materialismus" und die Zerstörung der Natur vorwerfen. Die Jungen wollen zu authentischen Werten zurück, und dazu gehört für die Frauen plötzlich wieder das Ideal, eine gute Mutter zu sein, lange zu Hause zu bleiben, sich um das Kind zu kümmern. Das erscheint ihnen erfüllender zu sein, als sich für einen schlecht bezahlten Job aufzureiben, aus dem man von heute auf morgen entlassen werden kann. Die Arbeitswelt ist härter, stressiger, brutaler geworden, Karriere zu machen ist schwieriger als vor der Krise. Also fragen sich viele junge Frauen, wozu die Anstrengung überhaupt gut sein soll, und entscheiden sich dafür, zu Hause zu bleiben.

Christine Bylow. Foto: Eric Fougere/ VIP Images/ Corbis

Tappen die Töchter der emanzipierten Mütter also in die Falle der Großmütter?

So ist es. Mein Buch ist ein Alarmschrei. Sicher ist Frankreich immer noch das Land, in dem die meisten Frauen in Vollzeit berufstätig sind, auch wenn sie Kinder haben. Aber es gibt beunruhigende Tendenzen. Etwa, dass man in französischen Kliniken nun die Frauen zum Stillen nötigt, auch wenn sie es nicht wollen. Wenn man ihnen empfiehlt, jedes Kind ein Jahr lang zu stillen, hält man sie zu Hause.

Warum sind Sie eigentlich so sehr gegen das Stillen? Wenn man Ihr Buch liest, hat man das Gefühl, Sie hielten das Stillen für Sklaverei.

Nein, wenn eine Frau stillen möchte, soll sie das tun. Perfekt. Wenn nicht, dann soll sie es lassen. Das ist eine persönliche Entscheidung, ebenso wie die, überhaupt Kinder zu bekommen. Ich möchte den jungen Frauen sagen: "Lasst euch nicht beeinflussen, lasst euch keine Schuldgefühle einreden, macht, was ihr fühlt. Wenn ihr nicht stillen wollt, ist das in Ordnung. Ihr habt das Recht, das nicht zu wollen, niemand hat das Recht, Druck auf euch auszuüben. Denn das tun Ärzte, Hebammen, Familien. Für das Kind ist es am wichtigsten, eine Mutter zu haben, die sich nicht frustriert und schuldig fühlt. Aber ich sehe, dass jetzt auch in Frankreich Druck auf die jungen Mütter ausgeübt wird, sehe, dass man sich dem deutschen Modell nähert. Ich kenne einige junge Frauen in Deutschland und weiß, wie dort immer im "Namen der Natur" argumentiert wird.

Der neue "Naturalismus", wie Sie die Öko-Bewegung nennen, beruft sich auf einen Mutterinstinkt, den Sie schon in Ihrem ersten Aufsehen erregenden Buch "Mutterliebe" als puren Mythos entlarvt haben. Folgt man Ihrem neuen Buch, sollen Frauen nun laut naturalistischer Ideologie die Welt und die Geburtenrate retten, indem sie das Kind in den Mittelpunkt ihrer Existenz stellen.

Die Krise und der Naturalismus fügen sich dabei gut ineinander. Die Anfänge reichen in die siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Auch manche Feministinnen haben den biologistischen Ansatz aufgegriffen und plötzlich Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft als etwas Erhabenes verehrt. Das Kind wird dabei zum eigenen "Werk", für das die Mutter die volle Verantwortung trägt.

Und wenn dieses Kunstwerk "Kind" scheitert . . .

Es scheitert immer. Es gibt kein perfektes Kind - und auch keine idealen Mütter. Alle Kinder haben Probleme, mehr oder weniger gravierende. Wenn man glaubt, man sei imstande, ein Wesen zu kreieren, das glücklich, heiter und intelligent zugleich ist, ist das vollkommen utopisch. Man macht, was man kann, man macht Fehler, und die Kinder haben Krisen, sie haben Rechnungen mit ihren Eltern zu begleichen. Das ist die Regel, alles andere ist die Ausnahme. Ich kenne nur sehr wenige Familien, in denen es keine heftigen Konflikte zwischen den Generationen gibt.

Sie warnen die jungen Frauen davor, ihre Rechnung mit den emanzipierten Müttern in einer Form zu begleichen, die sie nur selbst schädigt.

Man muss doch wissen, dass die Hälfte der Ehen und Beziehungen scheitert. Das heißt, es kommt der Tag, an dem die Frau allein mit dem Kind ist, womöglich nur mit einem spärlichen Unterhalt. Und dass man ein Interesse daran haben muss, seine ökonomische Unabhängigkeit trotz Mutterschaft niemals zu verlieren. Eines Tages ist das Kind aus dem Haus, wenn Sie keine interessante Arbeit haben, stehen Sie mit 45 Jahren ohne Aufgabe da. Was machen Sie dann? Es ist nicht vernünftig, sein ganzes Leben auf 10 oder 15 Jahre Mutterschaft zu setzen.

Sie behaupten, die Anforderungen an Mütter seien in den letzten Jahren gestiegen; das Mutterideal aber habe einen paradoxen Effekt. Weil die Frauen so sehr unter dem Druck stehen, gute Mütter sein zu müssen, und dabei wenig Unterstützung finden, treten sie lieber in den Gebärstreik. Was auf Frankreich nicht zutrifft. Frankreich hat die höchste Geburtenrate Europas.

Die französische Gesellschaft hat schon vor langer Zeit erkannt, dass nicht allein die Mutter für das Kind verantwortlich ist. Aber seit fast drei Jahrzehnten findet ein unterschwelliger, ideologischer Krieg statt. Der Naturalismus feiert den reichlich abgenutzten Mutterinstinkt. Seine stärkste Waffe ist das schlechte Gewissen der Mütter. Wer heute ein Kind hat, hat sich in der Regel bewusst dafür entschieden. Zufallskinder und "Unfälle" gibt es nur noch selten. Es sind in unseren Ländern noch immer die Frauen, die verhüten oder beschließen, es nicht mehr zu tun, wenn sie ein Kind wollen.

Das heißt aber auch, dass sie damit eine gewaltige Verantwortung auf sich laden, von der Empfängnis an befinden sie sich in einem Diskurs der Schuld. Von da an fühlen sie sich verpflichtet, das Maximum für ihr Kind zu tun. Gesund zu leben, sich ganz auf das Baby zu konzentrieren, sich selbst zurückzustellen.

Was mir in Ihrem Buch fehlt, sind die Väter. Sie schreiben zwar, dass sich Väter laut diverser Studien immer noch wenig an der Hausarbeit und Kindererziehung beteiligen, aber dabei belassen Sie es. Sie sind sehr milde mit den Vätern und beschuldigen stattdessen die jungen Frauen, rückschrittlich zu sein. Sie reden den jungen Frauen selbst ein schlechtes Gewissen ein!

Ich habe zuvor einige Bücher geschrieben, in denen nur von Männern die Rede war. Deshalb stehen sie diesmal nicht im Mittelpunkt. Es gibt eine für mich sehr schockierende Entwicklung: Zwischen 1970 und 1980 haben feministisch eingestellte Mütter auf die Väter ihrer Kinder Druck ausgeübt, die Haus- und Familienarbeit zu teilen. Das hatte nicht überall Erfolg, aber wenigstens haben wir mit der Arbeit begonnen und die Männer beschuldigt, sie unter Druck gesetzt, weil die Ungleichheit dermaßen offensichtlich war. Es ist damals tatsächlich gelungen, die Mentalität der jungen Väter etwas zu verändern, so dass viele unserer Lebensgefährten und Männer kooperiert haben.

Doch dann kam die Gegenbewegung. Plötzlich haben selbsternannte Spezialisten der Kindheit, Kinderärzte und Kinderpsychiater, das Gegenteil von dem behauptet, was wir anstrebten: Von Beginn der neunziger Jahre an haben sie den jungen Müttern erklärt, dass die Feministinnen Unrecht haben. Ständig liefen Sendungen in Radio und Fernsehen, die den jungen Frauen sagten, dass sie allein im ersten Lebensjahr für das Kind zuständig seien. Sie sollten stillen, Tag und Nacht zur Verfügung stehen, und das Kind sollte neben der Mutter schlafen. Der Vater habe sich nicht einzumischen. Was wir wollten, war damit erst einmal vom Tisch. Und die Väter haben das ausgenutzt - sie haben sich auf dem Absatz umgedreht und sind aus der Familienarbeit verschwunden. Und mussten darüber kein Wort verlieren.

In Ihrem Buch beschreiben Sie die Abgrenzung junger Frauen vom Feminismus als Ausdruck eines Generationenkonflikts.

Ja. In Frankreich rechneten die Töchter feministischer Mütter mit ihren Müttern ab. Wie alle Töchter mit ihren Müttern abrechnen. Die jungen Frauen hatten offene Ohren für die Kinder-Experten, die ihnen sagten: "Hört nicht auf diese vermännlichten Feministinnen, die verstehen nichts von der Mutterschaft." Man hat ja Feministinnen immer als Frauen beschrieben, die die Mutterschaft hassen und verabscheuen. Was überhaupt nicht stimmt. Aber auf diese Weise hat sich unsere Arbeit für die gleichberechtigte Elternschaft in Luft aufgelöst.

Christine Bylow. Foto: Eric Fougere/ VIP Images/ Corbis

Viele Mütter verlangen fast verzweifelt von den Vätern, sie mögen doch alles mit ihnen teilen, und scheitern. Selten gab es so viele alleinerziehende Frauen, die manchmal für alles zuständig sind - Kinder erziehen, Geld verdienen. Sind die Männer die Gewinner der Emanzipation?

Nein, das glaube ich nicht. Das ist eine zu oberflächliche Sicht der Dinge. Dem Anschein nach mag das stimmen, wenn sie eine Frau haben, die Geld heranschafft und sich um Haushalt und Kinder kümmert. In Wahrheit aber hat die feministische Revolution - denn die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen ist trotz allem eine Revolution - ein schreckliches Problem für die Männer hervorgebracht: Die Krise der Identität. Ich bin überzeugt, dass dies die Quelle großer Verwirrung und Unsicherheit ist. Ich möchte nicht übertreiben, aber ich sehe bei Männern ein unglaubliches Misstrauen gegenüber Frauen - und Angst. Sie fragen sich: "Was bin ich, wenn du alles kannst, was ich auch kann - und dazu noch Kinder bekommen kannst. Was bleibt mir?"

Sind Männer eifersüchtig auf Frauen?

Ja, es ist ungeheuer kompliziert für Frauen, mit diesem Misstrauen umzugehen. Ich bin aber auch bestürzt darüber, dass sich in den vergangenen zwanzig Jahren sehr wenig an der Beteiligung der Männer am Haushalt geändert hat. Es gibt Statistiken, die beweisen, dass das in ganz Europa zutrifft.

Darüber müssten Sie doch eigentlich verzweifeln - die Arbeit der Feministinnen ist verpufft und die Töchter sind Verräterinnen. Sie haben sich aber einmal als "optimistisches Temperament" bezeichnet. Sind Sie das noch immer?

Ich bin Wissenschafterin, ich habe eine akademische Ausbildung in Philosophie und Geschichte und bin es gewohnt, in langen Zeiträumen zu denken. Wir leben in einer Epoche, die sehr auf dem Moment fixiert ist. Konträr dazu bin ich, auf lange Sicht hin gesehen, optimistisch. Ich glaube, dass es keine Rückschritte gibt, und ich bin sicher, dass in zwei, drei Generationen ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern erreicht sein wird, mehr oder weniger. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde vor ein paar Jahrzehnten die Frage der männlichen Identität aufgeworfen. Die Männer wissen sich nicht mehr zu definieren, und das ist eine ungeheure Verstörung. Auf lange Sicht wird sich das beruhigen. Aber die ökonomische Krise wirft die Leute in einen Zustand der Regression zurück. Man kehrt zu traditionellen, primitiven Verhaltensmustern zurück. Die Entwicklung hin zur Gleichheit wird sich verzögern, doch was die ferne Zukunft anbetrifft, bin ich optimistisch.

Muss denn eine Frau - oder ein Mann - zu jedem Zeitpunkt des Lebens finanziell vom Partner unabhängig sein? Das ist doch auch eine Ideologie.

Für mich gibt es keine Gleichheit ohne ökonomische Unabhängigkeit. Und ich bemerke, dass man den Mädchen das nicht mehr so ans Herz legt, wie wir es bei unseren Töchtern getan haben. Aber das muss man den Mädchen einfach sagen: Ihr müsst euer Geld selbst verdienen können. Ihr müsst in der Lage sein, einen Mann zu verlassen, der euch schlecht behandelt, den ihr nicht mehr liebt, der gewalttätig ist. All das muss wieder gesagt werden, aber man hört nichts mehr davon. Und zwar deshalb nicht mehr, weil es schwer ist, Arbeit zu finden und weil deshalb die Versuchung, zu Hause zu bleiben, so groß ist. Aus meiner Sicht, ist man dabei, das Wesentlichste aus den Augen zu verlieren: die ökonomische Unabhängigkeit.

Ihr Buch wurde zwiespältig aufgenommen. Der deutschen "Grünen"-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sind Ihre Thesen "zu ideologisch". Andere Kritiker werfen Ihnen vor, Kinder würden in Ihrem Buch "an den Rand des Alltags gedrängt". Und es heißt, Sie forderten gnadenlos eine Anpassung an den Arbeitsmarkt des Neoliberalismus.

Ja, die Grünen bringe ich immer zur Verzweiflung. Ich glaube nicht, dass man Anhänger des Neoliberalismus ist, wenn man den Frauen rät, ökonomisch unabhängig zu sein. Ich bin zum Beispiel eine militante Anhängerin flexibler Arbeitszeiten für Männer und für Frauen. Die Gesellschaft sollte sich daran gewöhnen, dass auch Männer einen Tag frei nehmen können, um sich mit den Kindern zu beschäftigen.

Die Gesellschaft muss sich ändern, die Unternehmen müssen sich ändern, aber man darf nicht naiv sein: Man braucht Geld, um ein Kind zu erziehen, also muss man arbeiten. Heute ist es in den Unternehmen noch nicht selbstverständlich, dass der Vater zu Hause bleibt, wenn das Kind krank ist. Ich bin nicht dafür, dass man permanent dem Unternehmen zur Verfügung stehen muss. Man muss Arbeitszeiten verabreden, dabei darf man weder utopistisch noch unrealistisch sein - mangelnder Realismus ist die Todsünde der Grünen in Frankreich. Im Moment schlägt man sich darum, überhaupt Arbeit zu haben, und wird dabei noch schlecht bezahlt. Ich will nicht, dass die Frauen ausgeschlossen werden. Es ist keine Lösung, den Frauen die Kindererziehung nahe zu legen, damit es mehr Jobs für Männer und weniger Arbeitslosigkeit gibt.

Sie haben in Ihren Büchern immer das Ideal der Komplizenschaft zwischen Männern und Frauen beschworen, das klingt nun aber anders.

Komplizenschaft ist nicht immer möglich. Denken Sie nur an die vielen Trennungen. Es ist sehr selten, dass Trennungen und Scheidungen gut verlaufen, wenn Kinder im Spiel sind. Ich weiß nicht, ob es nun härter ist als früher, aber ich sehe, dass die jungen Paare die Möglichkeit der Trennung von vornherein mit einbeziehen. Mir sagen sie immer, es sei ein Wunder, dass ich mein ganzes Leben lang mit ein und demselben Menschen verbringe.

Sie sind mit Robert Badinter verheiratet. Zur Regierungszeit von François Mitterand war Ihr Mann Justizminister.

Ja, 45 Jahre Ehe, ich habe wirklich Glück.

Beruht dieses Eheglück auf einer guten Wahl - oder ist es Arbeit?

Offen gesagt, ich weiß es nicht. Es mag vielleicht banal erscheinen - aber die Liebe war einfach immer da. Was soll ich Ihnen sagen? Wenn man jemanden liebt, versucht man ihm zu helfen, dafür bin ich sehr sensibel. Wenn sich ein Paar trennt, hat sich zwischen beiden Schweigen ausgebreitet. Es ist vielleicht ein wenig verkürzt, was ich Ihnen nun sage: Aber ein Paar bedarf dreier unterschiedlicher Dialoge: Das sind der Dialog des Herzens, der Dialog der Körper und der Dialog der Werte und Ideen. Wenn einer dieser Dialoge endet, ist es sehr wahrscheinlich, dass die anderen beiden auch enden. Diese drei Dialoge sind wesentlich. Gut, in meinem Alter, mit fast siebzig Jahren, ist der Dialog der Körper nicht mehr derselbe wie mit zwanzig. Trotzdem: Schweigen stellt sich ein, wenn man findet, der Andere behandle einen schlecht, schenke einem nicht genug Aufmerksamkeit, teile die Pflichten nicht.

Wenn man Sie hört, hat man das Gefühl, Sie fühlten sich in der Gegenwart nicht sehr wohl. Ihre Leidenschaft als Historikerin galt ja auch immer dem 18. Jahrhundert.

Mit meinem nächsten Buch bin ich ins 18. Jahrhundert zurückgekehrt. Ich schreibe an einer Arbeit über die österreichische Kaiserin Maria Theresia. Zur Zeit sichte ich in Wien die Briefe an ihre Kinder - sie hatte 16 - und an ihren Mann, und ich amüsiere mich wie verrückt. Sie schrieb ja auf Französisch.

Was amüsiert Sie so an der Kaiserin Maria Theresia?

In den Originalmanuskripten kann man alles nachlesen, was im 19. Jahrhundert der Zensur zum Opfer fiel: Alles, was die Konflikte mit ihren Kindern betrifft, alles, was die Sexualität betrifft. Die österreichischen Historiker des 19. Jahrhundert haben ihr den Nimbus einer Heiligen verpasst. Mir macht es ungeheuren Spaß, an dieser Ikone zu kratzen - eine hochintelligente Frau übrigens. Es ist einfach aufregend, dort einzu-dringen, wohin sich noch niemand vorgewagt hat - in ihre Intimität.

Was haben Sie bisher über diese Frau herausgefunden?

Sie hat ihre Mutterschaft gezielt für politische Zwecke eingesetzt. Um Geld von den Ungarn zu erpressen, hat sie ihr Baby benutzt. Sie hat sich als arme hilfsbedürftige Mutter präsentiert, um nach einem siebenjährigen Krieg Unterstützung zu bekommen. Jedes Mal, wenn sie ein Kind bekommen hatte, ließ sie sich von immer demselben Maler mit dem Baby im Arm malen, mit der Wiege im Hintergrund. In sechzehn Gemälden hat sie so das Bild der Mutter verfestigt, fast erschien sie als Heilige Jungfrau. Und dieses Image hat sie politisch sehr gut vermarktet.

Literaturhinweis: Im April 2011 erscheint Christine Bylows Buch " Familienstand alleinerziehend. Plädoyer für eine starke Lebensform" im Gütersloher Verlagshaus. Hierin setzt sie sich mit den Thesen von Elisabeth Badinter auseinander.

Elisabeth Badinter 1983 zusammen mit der feministischen Philosophin Simone de Beauvoir. Foto: Françoise Duc Pages / Kipa/ Corbis

Zur Person

Elisabeth Badinter, 1944 geboren, war bis vor kurzem Professorin für Philosophie an der Pariser Elitehochschule Ecole Polytechnique. Sie hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, in denen sie sich mit dem Verhältnis der Geschlechter, der Rolle der Mutter und der männlichen Identität beschäftigt.

Badinter steht für einen Feminismus, der die Gleichheit zwischen Männern und Frauen betont. Damit unterscheidet sie sich von vielen europäischen und amerikanischen Feministinnen, die die Unterschiedlichkeit der Geschlechter in den Mittelpunkt stellen.

Ihre Bücher "Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls" und "Ich bin Du. Auf dem Weg in die androgyne Gesellschaft" waren Bestseller.

Sie hat drei Kinder zusammen mit ihrem Mann, dem Rechtsanwalt Robert Badinter, der unter François Mitterand Justizminister war.

Außerdem ist Elisabeth Badinter Aufsichtsratvorsitzende der von ihrem Vater gegründeten internationalen Werbeagentur Publicis.

Im Herbst 2010 erschien ihr jüngstes Buch, "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter", auf Deutsch bei C.H. Beck, München. Darin bekämpft Elisabeth Badinter die Wiederkehr eines Mutter-Ideals, das der Frau im Namen der Natur die gesamte Verantwortung für das Kind und die Gesellschaft auferlegt.

Christina Bylow ist freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie schreibt u.a. für die "Berliner Zeitung", für "Vogue" und das "Zeitmagazin".