Forscher entwickelten aus Stammzellen menschliche Embryonen. Das wirft ethische Fragen auf.
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Mithilfe von Stammzellen haben zwei Forschungsgruppen erstmals synthetische menschliche Embryonen geschaffen, die sich, so weit wie nie zuvor, in Kultur entwickeln. Dies gilt als bahnbrechender Fortschritt, wirft allerdings grundlegende ethische und rechtliche Fragen auf.
Die synthetischen Embryonen, die den Embryonen in den frühesten Stadien der menschlichen Entwicklung ähneln sollen, könnten nach Ansicht des Forscherteams um die Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz von der Universität Cambridge und dem California Institute of Technology einen entscheidenden Einblick in die Auswirkungen genetischer Störungen und die biologischen Ursachen wiederholter Fehlgeburten geben. Die Arbeit war Inhalt eines Vortrags auf der Jahrestagung der International Society for Stem Cell Research und ist mittlerweile auf der Preprint-Plattform bioRxiv veröffentlicht.
Eine konkurrierende Forschergruppe aus Israel hat unmittelbar danach ebenfalls vorläufige Daten als Preprint publiziert. Auch sie haben ihre Forschung aus Mausembryonen auf menschliche Zellen übertragen und allein aus humanen pluripotenten Stammzellen synthetische Embryonen hergestellt.
Die 14-Tage-Regel
Die Strukturen haben weder ein schlagendes Herz noch die Anfänge eines Gehirns, enthalten aber Zellen, aus denen sich normalerweise die Plazenta, der Dottersack und der Embryo selbst bilden würden, schrieb der britische "Guardian", der als erstes Medium von dem bahnbrechenden Fortschritt berichtete. Das sind die Strukturen und Eigenschaften, die ein etwa 13 bis 14 Tage nach der Befruchtung entwickelter Embryo aufweist. Die Forschenden wollen ihre Experimente zeitlich ausdehnen, um ähnlich wie bei den Mausversuchen eine Organentwicklung erstmals auch bei menschlichen Embryonen aus embryonalen Stammzellen in vitro erforschen zu können. Die Arbeiten werfen ernste ethische und rechtliche Fragen auf, da die im Labor gezüchteten Embryonen nicht in jedem Fall unter die geltenden Rechtsvorschriften vieler Länder fallen. So ist es vielerorts verboten, menschliche Embryos über 14 Tage hinaus im Labor zu kultivieren. Die Richtlinien orientieren sich maßgeblich an einer Leitlinie der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) aus dem Jahr 2016. Demnach galt das Überschreiten der 14-Tage-Regel als "unzulässige Forschungsaktivität". Im Jahr 2021 passte der ISSCR seine Leitlinien jedoch an. Durch künstliche Befruchtung oder aus menschlichen Stammzellen hergestellte Embryo-ähnliche Strukturen sollten künftig länger als die bisher maximal gängigen 14 Tage im Labor heranwachsen dürfen. Forscher sollten diese Embryonen so lange im Labor kultivieren können, wie es dem jeweiligen Forschungszweck dient - allerdings nur nach strenger Prüfung.
"Die Idee ist, dass man, wenn man die normale menschliche Embryonalentwicklung mithilfe von Stammzellen modelliert, sehr viele Informationen darüber gewinnen kann, wie die Entwicklung beginnt und was schiefgehen kann, ohne dass man frühe Embryonen für die Forschung verwenden muss", erklärt Robin Lovell-Badge, Leiter der Abteilung für Stammzellbiologie und Entwicklungsgenetik am Francis Crick Institute in London, im "Guardian".
Heranreifen nicht geglückt
Eine Frage ist noch offen: Nämlich ob die Strukturen das Potenzial haben, zu einem Lebewesen heranzuwachsen. Sowohl im Mausmodell als auch im Affenmodell ist ein weiteres Heranreifen in der Gebärmutter bislang nicht geglückt. Es sei nicht klar, ob das Hindernis für die fortgeschrittene Entwicklung lediglich technischer Natur ist oder eine grundsätzlichere biologische Ursache hat.
Auf die beiden Arbeiten im Preprint folgten in den vergangenen Tagen weitere Vorabpublikationen anderer Labore, die sich allerdings stärker auf die Anwendungsfälle der Technik konzentrieren.(gral)