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Emigration in Weiß

Von Martyna Czarnowska

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Zehntausende Ärzte haben in den vergangenen Jahren ihre osteuropäischen Länder verlassen.


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Die Zeit läuft ab. Mit einer rückwärts gehenden Uhr macht das die tschechische Ärztegewerkschaft auf ihrer Homepage deutlich. Nur noch ein Tag und ein paar wenige Stunden waren es am Donnerstagabend. Doch es sind nicht die Minuten bis zum Jahreswechsel, die da gezählt werden. Es ist die Zeit, die bis zum großen Exodus bleibt.

"Danke, wir gehen" heißt die Aktion, die die Gewerkschafter gestartet haben, um Druck für die Erhöhung der Gehälter zu machen. Sie protestieren damit gegen die niedrigen Löhne der Ärzte, die nun zusätzlich - wie andere Angestellte im öffentlichen Dienst - von den Sparplänen der Mitte-Rechts-Regierung betroffen sind.

Fast 3600 tschechische Spitalsärzte und damit beinahe ein Viertel dieses Personals landesweit haben im Rahmen der Protestaktion ihre Kündigung mit 1. Jänner eingereicht. In ihrer Heimat bekommen sie für ihre Arbeit kaum mehr als 1000 Euro; woanders haben sie weit bessere Verdienstmöglichkeiten.

Und auch wenn nicht alle tatsächlich weggehen werden - im Ausland sind sie teils begehrte Arbeitskräfte. So wirbt Deutschland seit einigen Jahren gezielt um tschechische Ärzte; sie sollen die Lücken füllen, die wiederum deutsche Mediziner hinterlassen, die etwa in die Schweiz oder nach Schweden gehen. Allein im an Tschechien grenzenden Sachsen stieg die Zahl der tschechischen Doctores in den ersten zehn Monaten des Jahres um 34 auf 150 Menschen. Auch die Ärztekammer in Oberösterreich äußerte sich positiv zur Aufnahme von Kollegen aus dem Nachbarland.

In Prag wiederum wird im Gesundheitsministerium bereits von einem drohenden Notstand gesprochen. An ihren Sparplänen freilich will die Regierung aber vorerst festhalten.

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Tschechien ist nur ein Beispiel für den Exodus von Ärzten und Pflegepersonal aus osteuropäischen Ländern. Die Migration hat spätestens nach den EU-Beitritten 2004 und 2007 immense Ausmaße erreicht. Rumänien haben in den letzten drei Jahren an die 5000 Ärzte verlassen, in Bulgarien ist die Situation ähnlich. Die Slowakei befürchtet, dass ihre Bürger die in Tschechien freiwerdenden Posten übernehmen.

Polnische Ärzteverbände haben bereits 2007 Alarm geschlagen. Nach dem Beitritt zur Europäischen Union 2004 haben bis dahin rund 5000 Ärzte das Land verlassen. Einige Schätzungen gehen von etwa 14.000 im Gesundheitswesen tätigen Emigranten aus. Insgesamt wanderten an die zwei Millionen Polen auf der Suche nach einem Job aus. Die meisten gingen nach Großbritannien, Irland und Schweden, die ihre Arbeitsmärkte nicht mit Übergangsfristen geschützt hatten.

Allerdings wollte das Gesundheitsministerium in Warschau schon im Vorjahr Entwarnung geben. Die Ärzte kommen zurück, hieß es. Als Gründe wurden gestiegene Gehälter in Polen angegeben, aber auch die Wirtschaftskrise, die das Arbeiten im Ausland nicht mehr so lukrativ machte. Und nach Angaben der Ärzteverbände gab es im Vergleich zum Jahr 2004 fast zehn Mal weniger Ansuchen um Dokumente, die für einen Auslandsjob notwendig sind.

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Zum Phänomen des Brain drain - Forscher etwa ziehen weg und verwerten ihr Wissen in einem anderen Land - kommt seit Jahren der Care drain hinzu: Pflegekräfte und Ärzte verlassen ihre Heimat. Deutsche ziehen nach Schweden, Tschechen nach Deutschland. Polen gehen weg, ihre ukrainischen Kollegen kommen. Den Ärztemangel in Rumänien mildern moldawische Mediziner. Und irgendwo bleibt dann eine Lücke, die sich nicht mehr füllen lässt.