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Emil Brix

Von Martin Hablesreiter und Sonja Stummerer

Reflexionen

Der Kulturpolitiker und Historiker Emil Brix erläutert, warum es im eigenen Interesse der österreichischen Gesellschaft liegt, heimische Kunst und heimische Künstler ernst zu nehmen - auch wenn es ihr manchmal schwer fällt.


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Wiener Zeitung: Herr Botschafter Brix, Sie sind als Historiker in der Kulturpolitik tätig. Was hat zeitgemäße Kulturpolitik mit der Vergangenheit zu tun?Emil Brix: Für mich sehr viel. Als Historiker interessierte ich mich naturgemäß besonders für politische Umbruchsphasen, dafür, wie sich Gesellschaften reproduzieren, wie sie mit Neuerungen zurecht kommen und mit Veränderungen umgehen. In jungen Jahren war ich geprägt von der Sehnsucht, hinter den Eisernen Vorhang zu blicken und das Denken dort zu erkunden. Auf Reisen in die damalige Tschechoslowakei und nach Polen lernte ich viele Wissenschafter und Künstler kennen, die sich intensiv und letztlich erfolgreich gegen die Sowjetisierung zur Wehr setzten. Das hat mich sehr beeindruckt und mich auch davon überzeugt, dass intellektuelle, kulturelle Aktivität zum politischen Umschwung führen kann. Die Chance, Europa zu verändern, wurde von der Kultur wahrgenommen. Dieser Prozess hat mich motiviert, ja geradezu getrieben, politisch zu denken.

Ist Kulturpolitik ihr Traumjob?

Ich würde mich selbst gar nicht unbedingt als Kulturpolitiker bezeichnen. Spannend finde ich jedenfalls, in einem Bereich zu arbeiten, in dem Zukunft aktiv gestaltet wird.

Würden Sie von sich behaupten, an der Veränderung der Welt mitzuarbeiten?

Ja, selbstverständlich! In der Kunst werden Konflikte aus neuen, ungewöhnlichen Blickwinkeln betrachtet und diskutiert. Auf diese Weise relativiert sie die allgemein gültige Wahrheit. Das verändert zweifellos die Welt.

Ist das ein Grund für die jüngst erfolgte Eröffnung österreichischer Kulturforen in Indien und China? Bieten ferne Kulturen mehr "Stoff" für diesen konfliktreichen Dialog?

Václav Havel hat einmal beobachtet, dass Österreicher und Tschechen beim Lesen seiner Texte immer an den selben Stellen lachen. So ein kultureller Gleichklang ist natürlich wunderbar, aber er birgt auch die Gefahr des Provinziellen. Gute Nachbarschaft verleitet zur Vorstellung, keine großen Herausforderungen vor sich zu haben. Daher erachte ich den Dialog mit uns völlig fremden Kulturen als wichtiges Korrektiv. Davon abgesehen sind China und Indien Lebensräume, wo die Welt von morgen entsteht. Wenn New York das kulturelle Zentrum der letzten vierzig Jahre war, so ist heute absehbar, dass diese Funktion in Zukunft Peking oder Delhi übernehmen wird. Dann müssen wir an Ort und Stelle sein.

Sie hegen offensichtlich eine starke persönliche Sympathie für die Ostländer. Dennoch fließt der größte Budgetanteil ins Kulturforum nach New York und nicht nach Prag oder Bukarest. Warum?

Wer den Anspruch erhebt, kulturell mitzudiskutieren, muss man am Ort der großen Welttrends präsent sein, und das ist derzeit New York. Es war eine bewusste und richtige Entscheidung, diesem Kulturforum durch den spektakulären Neubau des Architekten Raimund Abraham besondere Bedeutung zu verleihen. Aber das bedeutet nicht, dass ich die Entwicklungen im Osten Europas oder am Balkan ignoriere.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe als Sektionsleiter der Auslandskultur definieren?

Meine Funktion ist mit der eines mittelalterlichen Marktschreiers vergleichbar. Ich versuche, Aufmerksamkeit für österreichische Kultur und Wissenschaft zu erregen. Mit unseren Aktivitäten in den einzelnen Kulturforen prägen wir das internationale Bild Österreichs. Jeder Staat hat seine Geschichte, oder wie man auch sagt: seine "Narration". Meine Aufgabe ist es, die "Erzählung" des Staates Österreich an möglichst vielen Orten der Welt bekannt zu machen. Persönlich will ich Menschen ins Gespräch bringen. Das passiert heute nicht mehr in Form der Präsentation des Österreichischen, sondern als Versuch, Beiträge zu Diskussionen zu leisten. Große Debatten über Gerechtigkeit oder Demokratie - da muss man dabei sein.

Ist Auslandskultur auch eine Art von Werbung?

Wenn Werbung das wäre, was ich denke, dass sie sein sollte: ja!

Welche Art von Österreich wollen Sie bewerben?

Ich will ein Österreich der Vielfalt und Pluralität zeigen. Ich möchte nicht das Nest beschmutzen, aber ich präsentiere, dass im Nest sehr viel Schönes, sehr viel Bewundernswertes, sehr viel Kompliziertes, aber leider auch sehr viel Schmutziges liegt.

Die Kunst, die Sie im Ausland zeigen, darf also kritisch sein?

Je kritischer, desto lieber. Nur kritische Kunst ist glaubwürdig.

Darf Diplomatie mit Kunst provozieren?

Ja, denn Diplomatie will Meinungen beeinflussen.

Stoßen Sie mit solchen Ansichten manchmal auf Widerstände?

Erstaunlicherweise nur sehr selten. Ich glaube, in dieser Frage herrscht in Österreich ein liberaler Grundkonsens. Natürlich weiß ich, dass Kulturpolitik immer auch Ideologiepolitik ist, aber dieser Konnex wurde in den letzten Jahren immer schwächer. Das mag man sogar bedauern.

Gesetzt den Fall, es gäbe ideologische Einflussnahme von politischer Seite. Würden Sie für die Kunst streiten?

Selbstverständlich! Man muss in Österreich ohnehin andauernd erklären, warum der Staat für Kultur Geld ausgeben soll.

Was halten Sie vom Begriff Subventionskünstler?

Wir wissen doch alle, dass es den Künstlern nicht besonders gut geht. Subventionskünstler ist einer jener Kampfbegriffe, der bei der Verteilung öffentlicher Gelder eingesetzt wird, und davon halte ich naturgemäß nicht sehr viel.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder der Begriff Umwegrentablität strapaziert: Wie stehen Sie zur kulturpolitischen Verwendung dieses kapitalistischen Terminus?

Er ist ein gutes Instrument, um Leute davon zu überzeugen, mehr Geld in die Kunst zu stecken. Sonst bedeutet er gar nichts.

Welche Visionen verfolgen Sie in der Kulturpolitik?

Ich bin nicht sicher, ob Kulturpolitik Visionen braucht. Ich glaube, Kunst und Kultur sind ohnehin die zentralen Triebfedern des Fortschritts. Sie zeigen Alternativen zum Status quo auf und weisen die Richtungen für mögliche Weiterentwicklungen. In einer wohlstandsbefriedigten Demokratie tun sie sich genau damit oftmals schwer, gerade deswegen interessiert mich aber die Frage, ob nicht die politische Freisetzung all der zivilgesellschaftlichen Energie die größte kulturelle Herausforderung ist.

Nach welchen Kriterien treffen Sie die Auswahl Ihrer Projekte? Fördern Sie gewisse Formen der Kunst mehr als andere?

Grundsätzlich halte ich jene Kunstformen, die vom Bildungsbürgertum bereits kategorisiert und in Museen eingeordnet sind, für den kulturellen Bildungsauftrag für ungeeignet. Meine Aufgabe sehe ich darin, Konzepte zu fördern, die Widersprüche aufwerfen und dadurch neue Horizonte eröffnen.

Sie meinen zeitgenössische Kunst?

Ich meine jede künstlerische Form der Unzufriedenheit mit dem Gegenwärtigen, jedes Streben nach Veränderung. Das sollte kulturpolitisch gefördert werden.

Was repräsentiert für Sie Österreich am besten?

Wenn ich mich für eine einzige Antwort entscheiden müsste, würde ich sagen: die Musik. Im achtzehnten Jahrhundert förderte das Kaiserhaus ganz bewusst die Musik, denn sie bot eine der wenigen Möglichkeiten, den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn emotional zusammenzuschweißen. Verblüffend ist für mich, dass sich diese Tradition trotz des Zerfalls der Monarchie bis heute fortsetzt. In Österreich leben nach wie vor Ausnahmemusiker, und die Musik ist ein prägender Teil unserer Identität geblieben.

Wie würden Sie Österreich bei einem internationalen Empfang präsentieren: mit Mozart oder mit den Sofa-Surfers?

Weder noch. Ich würde die Armutskonferenz oder soziale Hilfsorganisationen einladen, gemeinsame Kunstprojekte zu entwickeln, um die politische Realität in Österreich zu verändern. In Verbindung mit großen politischen Events verstehe ich Kunst gesellschaftspolitisch. Die Frage, ob Mozart oder Sofa-Surfers, stellt sich da gar nicht.

Würden Sie Österreich als Kulturnation bezeichnen?

Das Schöne an Österreich ist seine grenzenlose Selbstüberschätzung. In anderen Staaten ist man stolz darauf, eine starke Armee zu haben oder möglichst viel politischen Einfluss in der Welt. Da ist es mir jedenfalls lieber, wenn die Mehrheit der Österreicher inklusive der "Kronenzeitung" stolz darauf ist, eine Kulturnation zu sein. Ich meine, im Grunde handelt es sich dabei um gar keine schlechte Fehleinschätzung.

Wie würden Sie den Zusammenhang zwischen Kultur und nationaler Identität in Österreich beschreiben?

Als Staat ist Österreich darauf angewiesen, sich über eine gemeinsame Kultur zu legitimieren. Unsere Nation lässt sich weder auf eine gemeinsame Sprache, noch auf eine geographisch naheliegende Grenzziehung oder eine erfolgreiche Revolution zurückführen. Es bleibt nur dieser mythische Begriff einer großen Kultur.

Verstehen Sie junge Künstler, die das österreichische Kulturverständnis als konservativ bezeichnen?

Völlig! Unser Problem ist das ewige Mitschleppen der Geschichte. Ich verstehe, dass man als junger Künstler Angst vor dem Vermächtnis der Vergangenheit haben muss. Dennoch befürchte ich, dass wir den Drang, unsere Historie aufzuarbeiten, nicht ablegen können. Das tragen wir in uns. Um dem zu entfliehen, muss man entweder Österreich verlassen oder Kosmopolit werden. Aber denken Sie daran: Es gibt in Österreich niemanden, der glaubwürdig von sich behauptet, Kosmopolit zu sein.

Ist diese Geschichtslastigkeit etwas spezifisch Österreichisches?

Die psychologische Kompensation des historischen Verlustes der Monarchie ist ein Teil unserer Identität. Die Liebe zur "guten alten Zeit" ist in Österreich sicher stärker ausgeprägt als in historisch homogenen Gesellschaften, wie zum Beispiel Frankreich.

Glauben Sie, dass der österreichische Hang zum Kitsch eine Aufarbeitung dieser historischen Last versucht, von der Sie sprechen?

Ja, unbedingt. Ich habe mit Marktforschern gesprochen, die Untersuchungen über Supermarktausstattungen in Deutschland und Österreich anstellen. Der deutsche Kunde kauft, wenn er durch Fakten überzeugt wird, der österreichische, wenn die Ware in überladenen Dekorationen angeboten wird. Hierzulande existiert ein barockes Visualisierungsbedürfnis. Dieser Drang äußert sich in allen Lebensbereichen, auch in der Gestaltung unserer Städte.

Ist also die Verkitschung historischer Orte wie Wien oder Salzburg weniger eine Folge des Tourismus als vielmehr ein österreichisches Grundbedürfnis?

Im Unterschied zu Amerika mussten wir Disneyland nicht erfinden. Der barocke Überschwang hat bei uns eine lange Tradition.

Sie meinen, die "schöne Leich", die aufwendigen Prozessionen, den Sisi-Mythos und so weiter?

Ja, oder André Heller. Der macht doch nichts anderes als mystische Feuer- oder Festspiele, die in Österreich zu Hochzeiten oder Begräbnissen seit dem 17. Jahrhundert ständig stattfanden. Heller fungiert quasi als Archivar des österreichischen Kitsches.

Würden Sie Künstler als Botschafter einer Gesellschaft bezeichnen?

Ja, denn sie bringen zum Ausdruck, was in einer Gesellschaft vor sich geht. Mich beschäftigt vor allem die Frage, wie stark Künstler in die Tagespolitik integriert sind und welche Möglichkeiten sie haben, ihre gesellschaftspolitischen Konzepte einzubringen. Dabei geht es nicht um deren finanzielle Förderung, sondern darum, inwieweit Künstler auf gesellschaftliche Prozesse einwirken. Da existieren ganz erstaunliche Unterschiede zwischen einzelnen Staaten. Ich bin beispielweise der Ansicht, dass Künstler in den USA einen großen politischen Einfluss haben, obwohl der Staat so gut wie keine Kulturpolitik betreibt. In anderen Ländern wiederum, die sehr viel in Kulturpolitik investieren, haben Künstler praktisch überhaupt kein politisches Gewicht.

Wo zum Beispiel?

In Österreich zum Beispiel. Selbst international höchst erfolgreiche Künstler wie Hermann Nitsch, Valie Export oder Arnulf Rainer haben in Österreich kaum gesellschaftlich-politische Relevanz. Bei uns existiert eine merkwürdige Kategorisierung: Wir Österreicher sind zwar stolz auf unsere Kunst, vor allem wenn sie internationale Anerkennung bringt - in diesem Fall akzeptieren wir sogar zähneknirschend Elfriede Jelinek -, aber wir sehen sie von der gesellschaftlichen Realität streng getrennt. Auf der einen Seite der wunderbare Glanz der österreichischen Kulturnation, auf der anderen die politische Wirklichkeit.

Bedauern Sie das?

Ja! Wenn man schon so viel in Kunst und Kultur investiert und so viele gute Künstler hat, dann sollte man das auch politisch nutzen! Ich finde es liegt in unserem eigenen Interesse, heimische Kunst und heimische Künstler ernst zu nehmen.

Ist diese Gleichgültigkeit gegenüber Kunst und Kultur etwas spezifisch Österreichisches oder ist sie ein grundsätzliches Phänomen unserer Zeit?

Ich befürchte, sie hat primär mit den Prinzipien des Kapitalismus und der Globalisierung zu tun. Der marktwirtschaftliche Druck lässt sehr wenig Raum für Widerspenstiges und Komplizierteres.

Trotzdem kann Kunst in Österreich sehr heftige Diskussionen auslösen. Ich erinnere zum Beispiel an Thomas Bernhards "Heldenplatz". Diskutieren und ignorieren wir gleichzeitig?

Ja. Ich halte hochstilisierte Diskussionen rund um gewisse Projekte für eine sehr geschickte Verdrängungsstrategie. Damit wird die eigentlich unbedeutende Rolle der Kunst in Österreich verschleiert. Durch die Bereitschaft, Kunst auf Seite eins aller Zeitungen heftigst zu thematisieren, verharmlost man ihre Inhalte. Es ist ja zum Beispiel ganz wunderbar, wenn alle Zeitungen gemeinsam mit dem Bundeskanzler über den künftigen Staatsoperndirektor diskutieren. Aber glauben Sie auch nur einen Moment lang, dass diese Besetzungsfrage von irgendeiner gesellschaftspolitischen Relevanz für unser Land ist? Also, ich glaube das nicht.

Welche Bücher lesen Sie vor dem Einschlafen?

In der Regel Bellestritik, denn ich hege die Hoffnung, dass sich die Geschichten in meinen Träumen fortsetzen.

Emil Brix wurde 1956 in Wien geboren. Er studierte an der Universität Wien Geschichte und Anglisitk und trat 1982 in den Diplomatischen Dienst der Republik Österreich ein. Von 1982 bis 1989 war er in verschiedenen politischen Positionen tätig, etwa als Klubsekretär im ÖVP-Parlamentsklub und von 1986 bis 1989 im Ministerbüro des damaligen Bundesministers für Wissenschaft und Forschung, Erhard Busek. 1990 wurde Emil Brix Generalkonsul der Republik Österreich in Krakau. Aus dieser polnischen Stadt wechselte er 1995 nach London, wo er die Leitung des Österreichischen Kulturinstitutes übernahm. Seit 2002 arbeitet Brix als Chef der Kulturpolitischen Sektion im Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten wieder in Wien. In Ausübung dieser Funktion gründete er unter anderem Kulturinstitute in der chinesischen Hauptstadt Peking und im indischen Neu Delhi. Er gilt als Verfechter zeitgenössischer österreichischer Kunst, die er international präsentiert. Außerdem ist Emil Brix stellvertretender Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa und Leiter der Arbeitsgemeinschaft "Wege zur Civil Society in Österreich" der Österreichischen Forschung Gemeinschaft (ÖFG). Seit März 2000 ist er auch als Generalsekretär der ÖFG tätig.Emil Brix hat zahlreiche Bücher und Artikel (unter anderem auch im "extra" der "Wiener Zeitung") zur österreichischen und europäischen Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts veröffentlicht. Zuletzt erschien 2001 "The Decline of Empires", das er gemeinsam mit Klaus Koch und Elisabeth Vyslonzil verfasste. Auch als Herausgeber ist Brix tätig, so unter anderem von: "Universitäten in der Zivilgesellschaft", Passagen Verlag Wien 2002 (zusammen mit Jürgen Nautz). Im selben Verlag gibt er auch die Buchreihe "Civil Society in Österreich" heraus.