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Emotion gewinnt also doch Spiele

Von Christian Mayr

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Spätestens mit dem legendären 7:1 Deutschlands über Gastgeber Brasilien im WM-Semifinale hatten wir es schwarz auf weiß, dass mit bloßer Emotion kein Fußballspiel zu gewinnen ist. Die Brasilianer wollten damals für all ihre 195Millionen Einwohner - von den Amazonas-Indigenen bis zu den Copacabana-Strandkickern - den WM-Pokal holen und zugleich das Nationaltrauma des verlorenen Finales von 1950 im Maracanã-Stadion für immer auslöschen. Hätten sie nur für ihre eigene Brieftasche gespielt, wäre den Seleção-Stars das Debakel womöglich gar nicht passiert; so aber hatten sie ohne Plan, Taktik und Konzept keine Chance gegen akribisch vorbereitete Deutsche. Doch nun hat ausgerechnet ein Deutscher - in Person von Kulttrainer Jürgen Klopp - in Liverpool genau das geschafft, wofür der Fußball einst gestanden ist: In einer Zeit, als Bandenwerbung und Bier noch nicht uniformiert waren, es keine Gruppenphase gab und noch jede Europacup-Partie eine ums Überleben im Bewerb war, als Fußball noch mehr Kampfsport als von Milchbubis am Computer gestaltetes Taktikspielchen mit 22Darstellern war. Praktisch alle Beobachter sind sich einig, dass Klopp in dieser denkwürdigen Nacht an der Anfield Road mit seiner Pausenansprache die Partie gedreht hat, weil er seine Spieler trotz aussichtslosem 0:2-Rückstand noch einmal "angezündet" hat. Europacup-Schlachten dieser Art sind selten geworden - und genau darum sticht das Match so aus der Masse all der hochkarätigen Kracher, die trotz bisweilen schöner Fußballkunst ihrer Stars die pure Emotionalität fehlt. Der Geist von Anfield mag für Dortmund ein Schreckgespenst sein, für alle Fußballfans dieser Welt ist er die Wiederkehr des guten Geistes dieses Spiels.