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Emotionale Momente des Grauens

Von Bernhard Baumgartner

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Journalisten wollen bekanntlich immer die Ersten sein, die eine heiße Meldung an die vermeintlich danach gierende Öffentlichkeit bringen. Denn das bringt Ruhm, Ehre und ein Schulterklopfen des Chefredakteurs. Das gilt nicht nur bei Zeitungen, sondern auch im Fernsehen. Manche entwickeln dabei jedoch eigenartige Strategien, um auch ja der Erste zu sein.


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Sat1 wollte dieses Jahr auf Nummer sicher gehen, um in einer ganz eminent wichtigen Sache der Erste zu sein: Und zwar beim Jahresrückblick 2009, den Sat1 sicherheitshalber am 5. Dezember als schlanken 225-Minüter unter dem Motto "Emotionale Momente, ergreifende Schicksale und kuriose Ereignisse" ins Programm wuchtete. Also noch bevor der Nikolaus zu Besuch kommt. Und ja vor allen anderen Sendern - denn es gibt schließlich kaum etwas Exklusiveres, als der Erste zu sein, der den Zusehern das erzählt, was sie eh schon wissen. Normalerweise spielen die TV-Stationen ihre Jahresrückblicke zwischen Weihnachten und Neujahr. Dort sind sie zwar schlimm genug, haben aber einen gewissen Zweck. Den nämlich, dass die Macher der aktuellen Magazine ja auch einmal Ferien machen müssen und daher ein armer Journalredakteur ein paar alte Beiträge neu zusammenkopiert. Das fällt den noch von Vanillekipferln und Karpfen sedierten Zusehern nicht weiter auf - und billig produziert ist es obendrein.

Dass bei so viel journalistischem Ehrgeiz bei Sat1 der Konkurrent RTL nicht nachstehen kann, ist klar. Wie toppt man also einen Jahresrückblick in der temporalen Dimension einer ausgewachsenen Golf-Übertragung? Ganz einfach: Man lässt Oliver Geissen in der "ultimative Chart-Show" den "absoluten Nummer-1-Hit" des Jahres 2009 ermitteln. Fast vier Stunden lang (davon gefühlte zwei Drittel Werbung und ein weiters Drittel C-Promi-Gefasel). Grausamer kann Fernsehen eigentlich kaum sein. Und das am Vorabend des Krampustages. Die trauen sich was bei RTL!