Palästinensische Flüchtlinge, verfolgte Roma, eine israelkritische Streitschrift.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Widerstand und Zivilcourage haben die Leiter des Jüdischen Filmfestivals Wien, Monika und Fredéric Kaczek, für die heurigen 18 Festivaltage als Schwerpunkt gewählt. Inspiriert hat sie dazu der inzwischen 94-jährige ehemalige französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel mit seiner jüngst auch auf Deutsch erschienenen Streitschrift "Empört euch!", sagt Monika Kaczek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Wenn man das liest, denkt man einfach ein bisschen darüber nach, dass es so viele Dinge gibt, die uns empören, und dass wir etwas dagegen tun können. Ich glaube natürlich nicht, dass man die ganze Welt verändern kann. Aber es gibt gewisse Filme, die einen ein Leben lang begleiten und vielleicht dazu beitragen, dass man sich mehr engagiert."
Hessel, Sohn eines jüdischen Vaters, von den Nazis allerdings vorrangig wegen seines Engagements in der Résistance in KZs inhaftiert, führt in seiner Streitschrift auch ganz zentral seine Empörung über die aktuelle Lage in Gaza aus. Zu lesen ist da etwa: "Dass Juden Kriegsverbrechen begehen können, ist unerträglich. Leider kennt die Geschichte nicht viele Beispiele von Völkern, die aus ihrer Geschichte lernen."
Jérôme Segal, gemeinsam mit Monika Kaczek und Tal Adler für die Filmauswahl zuständig, stoßen manche Aussagen Hessels sauer auf; als Motto für das Festival sei "Empört euch" im Zeichen der aktuellen politischen Entwicklungen dennoch sehr passend. Die vergangenen Monate haben gezeigt, was Menschen bewegen könnten, die aufstehen und sich empören, erläutert dazu Kaczek. Als Beispiele nennt sie die Revolutionen im arabischen Raum, die Proteste in Spanien und Großbritannien sowie Israel.
Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien, die das Festival letztes Jahr wegen zweier Filme massiv kritisiert hatte - es ging um "Fucking different", eine Arbeit über Leben und Lieben in Tel Aviv von schwulen und lesbischen Filmemachern, sowie "Brit", einem Dokumentarfilm über Beschneidung -, äußert sich heuer bewusst nicht. Es gebe keine Stellungnahme seitens der IKG, betont Präsident Ariel Muzicant auf Anfrage. Gemeindeintern waren im vergangenen Jahr die Wogen hochgegangen, nachdem sich liberale Stimmen wie der Schriftsteller Doron Rabinovici oder die Filmemacherin Ruth Beckermann über die offiziellen Aussagen der IKG-Führung zu dem Festival empört hatten.
Wie Protestkultur aussehen kann, hat in den 1950er und 1960er Jahren die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner vorgeführt. Dass sich in dieser auch Juden engagierten, zeigen die Regisseurinnen Connie Field und Marilyn Mulford in ihrem Dokumentarstreifen "Freedom on my Mind" aus dem Jahr 1994 auf.
Zu Wort kommt in dem Film unter anderen Marshall Ganz, der 1960 gerade in Harvard studierte, als er sich entschloss, sich der Bürgerrechtsgruppe Mississippi Freedom Movement anzuschließen. Sein Vater hatte mit Holocaust-Überlebenden gearbeitet, weshalb das Thema in der Familie sehr präsent war. "Der Holocaust wurde mir als Folge von Rassismus erklärt, und dass Rassismus böse ist, dass er tötet", schrieb er dazu in einem Essay 2009. "Deshalb habe ich beschlossen, nach Mississippi zu gehen."
In die NS-Zeit selbst entführt "Joanna" von Feliks Falk. Eine junge Polin rettet darin ein jüdisches Mädchen. Um dieses zu schützen, beginnt sie eine Affäre mit einem SS-Sturmbannführer, was in ihrem Umfeld Empörung auslöst. Ebenfalls in der NS-Zeit angesiedelt ist der Streifen "Liberté" von Tony Gatlif, dem Sohn einer Romni und eines Kabylen, der hier das traurige Schicksal einer Roma-Familie nachzeichnet. Der Bürgermeister eines kleinen Dorfs rettete sie zunächst durch eine große Portion Zivilcourage, indem er ihnen einen Teil seines eigenen Besitzes überschrieb - die Ruine eines Bauernhofes. Der Grundbesitz befreite sie aus der Lagerhaft und bewahrte sie vor Deportation. Nur: Die Familie fürchtete sich vor den Mauern aus Stein. Sie spannte die Maulesel vor ihre Wägen und fuhr, wie sie es gewohnt war, über das Land. An der Grenze zu Belgien wurde sie inhaftiert. Damit war ihr Tod besiegelt. "Es geht in dem Film zwar nicht um Juden, aber er passt zu unserem Motto Empört euch", so Kaczek. Außerdem wolle man bei der Programmierung auch immer "über den Tellerrand blicken". Roma und Sinti seien wie Juden über Jahrhunderte ausgegrenzt und verfolgt worden.
Gewaltloser Protest
Näher zur Gegenwart angesiedelt sind zwei Filme, die den Konflikt zwischen Israel und Palästinensern zur Sprache bringen. "Budrus" erzählt die Geschichte eines palästinensischen Dorfs, das wegen des Baus der israelischen Mauer von seinem Friedhof und seinen Olivenbäumen getrennt werden sollte. Es wird gewaltlos protestiert - und schließlich erreicht, dass der Verlauf der Mauer geändert wird. "Arna’s Children" wiederum zeigt, was aus jenen Kindern wurde, die die israelische Menschenrechtsaktivistin Arna Mer Chamis in den 1980er Jahren aus Empörung über die Lage palästinensischer Kinder in westjordanischen Flüchtlingslagern in einer Jugendtheaterguppe versammelte. Ihr Sohn Juliano machte sich 2002 auf die Suche nach ihnen.
Dieser Film wird übrigens in memoriam gezeigt. Juliano Mer Chamis wurde im April 2011 in Dschenin ermordet, der Täter ist bis heute nicht gefasst.
Wie gut das Verhältnis zwischen Muslimen und Juden auch sein kann, zeigt übrigens der heurige Eröffnungsfilm, mit dem das Festival morgen, Donnerstag, startet. "Les hommes libres" erzählt, wie Muslime im Zweiten Weltkrieg in Frankreich Juden retteten. Es waren sefardische Juden, die Arabisch sprachen, was die Sache erleichterte. Die Rettungsaktionen wurden von einer große Moschee in Paris aus organisiert.