Zum Hauptinhalt springen

Empörung ist verständlich, wird aber nicht reichen

Von Hans Holzinger

Gastkommentare
Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg.Er war in der Friedensbewegung der 1980er Jahre aktiv. Zuletzt erschien sein Buch "Post-Corona-Gesellschaft".
© privat

Aktuell zählt nicht, was Recht und Unrecht ist, sondern wie der Krieg und das Blutvergießen beendet werden können.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Stärke des Rechts muss über dem Recht des Stärkeren liegen. Aber was, wenn sich der Stärkere nicht daran hält? Wladimir Putin wusste, dass niemand der Ukraine militärisch beistehen würde, auch wenn er sich hinsichtlich der massiven internationalen Unterstützung für das angegriffene "Bruderland" getäuscht hat. Doch wäre die Ukraine bereits Nato-Mitglied geworden, wäre er dann vor einer Invasion zurückgeschreckt? Oder hätte er trotzdem angegriffen mit der Folge einer weiteren Ausbreitung des Krieges? Nun wird versucht, den Preis für Putin durch internationale Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen. Die Zahl der Toten auf beiden Seiten steigt mit der Dauer der Kämpfe und des Umfangs der eingesetzten Waffen. Putins Drohung mit Nuklearwaffen macht die gefährliche Eskalationsspirale deutlich.

Krieg ist immer ein Verbrechen. Und es ist schwierig, angesichts des Mordens und der Zerstörungen den richtigen Ton zu finden - und Wege, die aus der Eskalation herausführen. Wenn das Ziel ist, den Krieg und das Blutvergießen zu beenden, dann zählt nicht die Frage, was Recht und Unrecht ist, sondern was die Chancen erhöht, dieses Ziel zu erreichen. Das unterscheidet Verantwortungsethik von Gesinnungsethik. Ob eine Neutralisierung der Ukraine Putins Krieg noch stoppen kann, ist zumindest kurzfristig zweifelhaft. Aber es wäre ein Verhandlungsangebot. So schwer jedes Zugeständnis an den Aggressor auch fällt.

Westliche Demokratien zeichnen sich durch Offenheit und freie Meinungsäußerung aus, sie hält aber auch das Wohlstandsversprechen zusammen. Und sie sind nicht immer friedlich, wenn es um geopolitisch-ökonomische Interessen geht, wie die jüngere Geschichte zeigt. Putins Erzählung von der Größe Russlands bezieht sich auf Tradition und militärische Macht - nicht auf ökonomische wie in China. Im Gegenteil: Russlands Wirtschaft wird dieser Krieg massiv schaden und weiter schwächen. Und die Energiewende im Westen wird dem Rohstoffland weiter zusetzen. Aber kann ein weiter destabilisiertes Russland im Interesse der Weltgemeinschaft sein? Anders als die Krim-Annexion unterstützen die Russen diesen Krieg offensichtlich wenig. Die Sanktionen werden dies verstärken. Aber wird Putin einlenken oder gar abgesetzt werden? Der rumänische Politologe Ivan Krastev warnt davor, ihn weiter in die Enge zu treiben.

Die aus der Ukraine stammende Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Tanja Maljartschuk sieht "keinen Dritten Weltkrieg heraufdräuen, sondern das verspätete Ende des Zweiten". Das Ende der Ukraine wäre "das Ende Europas, wie wir es kennen". Wie eine neue Sicherheitsarchitektur Europas aussehen wird, ist unklar - ebenso, ab wann wieder Dialog möglich sein wird. Eine weitere wirtschaftliche Schwächung und Destabilisierung Russlands würde nicht unbedingt Putins Herrschaft beenden, sondern könnte zu weiterer militärischer Eskalation führen. Noch mehr Waffen machen die Welt nicht sicherer - die Wiederaufnahme von Rüstungsbegrenzungsgesprächen und zivilgesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Beziehungen schon.