Hinter Griechenlands Finanzkatastrophe steckt auch ein Defizit der Volksbildung. | Dieses ist leider typisch für die meisten westlichen Wohlstandsländer.
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Was ist wichtig zu wissen? Gute Frage. Chinesen, die unter der Enge eines diktatorischen Informationssystems leiden, versuchen mit allen Mitteln und Tricks, die von staatlichen Zensoren im Internet eingebauten Barrieren zu durchbrechen und sich freie Nachrichten zu beschaffen. In den unruhigen arabischen Staaten wussten sich Ägypter, Tunesier und jetzt unter Einsatz ihres Lebens kämpfende Libyer die Neuigkeiten zu beschaffen, auf die es ankommt. Also etwa, wann auf dem Hauptplatz Massendemonstrationen angesagt sind. Es gibt offenbar viele Menschen, die den Wert der Information erkannt haben.
In Griechenland spielt sich derzeit keine Revolution ab, sondern das Trauerspiel einer von Gewerkschaftsbossen und Oppositionspolitikern für ihre Zwecke ausgenützten Volksverdummung. Dass der Mittelmeerstaat durch jahrelange Misswirtschaft in den Staatsbankrotts schlitterte, wird mit Generalstreiks gegen ein europäisches Rettungssystem beantwortet, das bei all seinen Mängeln der einzige Rettungsplan ist, den es gibt.
Wie erklärt man einem Volk, das offenbar noch nie Steuerzahlen gelernt hat, dass die Lage ernst ist? Das ist nicht nur ein großes Problem in der Wiege der Demokratie, sondern fast überall in Europa. Denn fast jede Regierung dieses Kontinents würde in Ratlosigkeit verfallen, wenn die Bevölkerung einfach nicht mehr mitmachen wollte, und sei es bis zum eigenen Untergang.
Warnsignale werden nicht erst jetzt laut. Der amerikanische Friedensnobelpreisträger Al Gore hat schon vor Jahren in seinem Buch "Angriff auf die Vernunft" den Niedergang der politischen Bildung der Amerikaner beklagt und auch Ursachen freigelegt: mediale Missbildung statt mediale Aufklärung. In Deutschland schrieb sich der ehemalige "Stern"-Chefredakteur Michael Jürgs seinen Zorn über die systematische Verdummung der Menschen durch endlose Casting-Shows der Fernsehanstalten von der Seele, Motto: "Warum wir hemmungslos verblöden". Der Verband österreichischer Zeitungen berichtete dieser Tage von einer Konferenz, in der Renate Köcher, Geschäftsführerin des deutschen Instituts für Demoskopie Allensbach, den rapiden Rückgang politischer Bildung zwischen 1999 und 2010 darstellte: Das Interesse an Politik sei um 14 Prozent abgesunken, das Interesse an Wirtschaftsthemen um 23 Prozent. Vor allem für Jugendliche, die im Internet surfen, sei Kommunikation und Unterhaltung viel interessanter als die angebotene Information. Social Media können das Hirn blockieren. Somit baut sich mit den Jahren ein Wissensdefizit auf. Köcher: "Nur der, der sich kontinuierlich informiert, kann Dinge auch akkurat einordnen."
Kurt Imhof, Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie an der Universität Zürich, sekundiert: Ein zunehmender politischer Populismus und auch Medienpopulismus schaffe eine "Empörungsbewirtschaftung", die zu
einem Realitätsverlust in der demokratischen Auseinandersetzung führe. Viele Medien machen zeitgeistig mit, wenn sie in ihrer
Informationspolitik vom Wesen der Sache ablenken und Sekundärthemen zu Schicksalsfragen aufbauschen. Information ist aber auch eine Holschuld - man muss ihren Wert erkennen, sich um sie bemühen,
anstatt im Überangebot unverbindlicher Informationsfragmente unterzugehen.
Der Autor ist Sprecher der
Initiative Qualität im Journalismus; zuvor Journalist für
"Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".