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"En marche" in Schwarz und Blau

Von Werner Reisinger

Politik

Am Montag verhandeln ÖVP und FPÖ weiter über eine mögliche Koalition. Noch gilt es, geschickt zu taktieren.


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Wien. Am Freitag war mal Pause. Den Tag zwischen Nationalfeiertag und Wochenende ruhten die am Mittwoch zwischen ÖVP und FPÖ begonnen Koalitionsverhandlungen. In "respektvoller Atmosphäre" sei die erste Runde über die Bühne gegangen, freute sich am Mittwoch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Beim Verhandlungsauftakt, während dem man sich auch "menschlich nähergekommen" sei, wie Strache sagte, sei es zuerst einmal lediglich um die "Strukturen" des Verhandlungsplans gegangen. Auch ein Prozedere wurde festgelegt: Am Montag will ÖVP-Chef Kurz einen "Kassasturz" durchführen. Eine umfassende Analyse der budgetären Situation soll die Basis für das zu erarbeitende Regierungsprogramm darstellen.

Dafür sollen externe Experten hinzugezogen werden. Die stehen - nicht ganz unpraktisch - im ÖVP-geführten Finanzministerium zur Verfügung. Die verkündete Struktur der beiden Verhandlungspartner lässt wenig Zweifel, dass FPÖ und ÖVP den Wahlslogan von Sebastian Kurz, "Zeit für Veränderungen", recht ernst nehmen - und diese "Veränderung" wohl in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen versucht werden soll. Gleich 25 Fachgruppen unter der Ägide von fünf "Clustern" sollen eingerichtet werden. Sie decken nahezu das gesamte Spektrum an aus Sicht von Strache und Kurz zu verändernden Bereichen ab: Von "Fairness und neue Gerechtigkeit" (unter anderem Gesundheit, Arbeit, Pensionen) über "Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz" (Innere Sicherheit und Landesverteidigung) bis hin zu "Staat und Gesellschaft" (Justiz, Kunst und Kultur, Integration und Medien) wird nichts ausgelassen.

Dem Noch-Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern blieb - nach dem strategisch eher undurchsichtigen und undurchdacht wirkenden "Offenhalten von Optionen" nach dem Wahltag, Stichwort Rot-Blau - nur mehr, vor "Hetze und Antisemitismus" in Richtung von Kurz und Strache zu warnen.

Postenverteilung vorerst hintan

Noch steht Schwarz-Blau II noch nicht, auch wenn Beobachter mit einem raschen Ergebnis, wenn nicht gar mit einem Durchmarsch bei den Regierungsverhandlungen rechnen. Gelingt der Deal, steht in wirtschaftspolitischen Fragen mit den Neos auch schon der verfassungsmäßige Mehrheitsbeschaffer bereit. Von einer Fortsetzung der 1999/2000 begonnenen "konservativen Wende" von Wolfgang Schüssel schreibt bereits die Wochenzeitung "Falter".

"En marche" in Schwarz und Blau also? Zuerst gilt es für den Wahlsieger Sebastian Kurz, hinsichtlich seines wahrscheinlichen Koalitionspartners einige Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Da wäre einerseits die Frage der Postenbesetzungen mit FPÖ-Personal, die laut Strache bis dato bei den Gesprächen noch kein Thema gewesen sein sollen. Bereits bekannt ist, dass Strache für die FPÖ den Innenminister fordert, und zwar per Koalitionsbedingung. Mit Bedingungen in Verhandlungen zu starten, sei nicht zielführend, heißt es zwar offiziell dazu aus der ÖVP. Hinter vorgehaltener Hand aber lässt man wissen, dass es den Türkis-Schwarzen ohnehin eher um das gut dotierte Sozialministerium geht. Machen doch dort im laufenden Jahr alleine die Bereiche Arbeit sowie Soziales und Konsumentenschutz über 15 Prozent des Gesamtbudgets aus. Viel politischer Spielraum also. Zu viel Spielraum vielleicht, um das Ressort der FPÖ zu überlassen, die damit wohl gerne die im jahrelangen populistisch-xenophoben Verteilungswahlkampf erzeugten Erwartungen der eigenen Wählerschaft bedienen möchte.

Dass auch der Posten des Außenministers an die Blauen gehen könnte, ist ob der zu erwartenden Reaktionen auf europäischer und internationaler Ebene mehr als fraglich. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte in den vergangenen Wochen betont, sich das Personal einer neuen Regierung "genau anzusehen" - was die FPÖ wiederum dazu veranlasste, das Staatsoberhaupt gleich vorweg vor "Zensur" zu warnen. Alle aufgestellten Personen hätten von den Wählern "Vertrauen gewonnen", richtete FPÖ-Generalsekretär und Koalitionsverhandler Herbert Kickl dem Bundespräsidenten aus.

Mediales Vorbauen

Davon unbeeindruckt baute Alexander Van der Bellen am Nationalfeiertag einem allzu rauschhaften Veränderungswillen der Koalitionsverhandler medial vor. Österreich sei "ein Land, in dem der Stärkere auf den Schwächeren schaut", sagte der Bundespräsident in seiner TV-Ansprache. Es brauche eine "exakte Unterscheidung zwischen den Dingen, die verändert werden müssen und den Dingen, die wir in unserem Land als immerwährend sehen", und das seien neben der Verfassung und der Neutralität eben auch das Beachten der Grund-, Menschen- und Minderheitsrechte, ein Bekenntnis zur Solidarität - und ein "klares Ja zur europäischen Zusammenarbeit".

Umso mehr ist Sebastian Kurz bemüht, einer - durchaus auch international vorhandenen - negativen Grunderwartung einer FPÖ-Regierungsmitverantwortung seinerseits medial vorzubauen. Eine "proeuropäische Position" sei Grundvoraussetzung, sagte Kurz bei Bekanntgabe der schwarz-blauen Verhandlungen. Was genau die erwartete schwarz-blaue Regierung unter einer "aktiven Mitarbeit in Europa" genau versteht, wird sich wohl erst weisen. Ein Einsatz für mehr europäische Integration ist wohl eher nicht zu erwarten. Derartigen Hoffnungen, wie sie jüngst der Erfinder der "En marche"-Politik, Frankreichs Präsident Emanuel Macron, äußerte, stellt Kurz derweil lieber die - noch vage - Forderung nach "mehr Subsidiarität" entgegen.

Mediales Vorbauen ist indes auch bei den Gewerkschaften und den Kammern angesagt. Dass der Spielraum des ÖVP-Chefs für eine Abschaffung der Pflichtmitgliedschaften in den Kammern reichen könnte, ist zwar ob des Einsatzes von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl für die Sozialpartnerschaft eher unwahrscheinlich. Beitragskürzungen aber kommen für Kurz sehr wohl in Frage, und auch Neos-Chef Matthias Strolz würde dazu wohl kaum Nein sagen. Von gewerkschaftlich organisierten Streiks dürfe man sich "nicht beeindrucken lassen", ließ dieser wissen. Arbeitnehmervertreter sehen bereits das Kollektivvertragssystem in Gefahr, Experten wie Thomas Leoni vom Wirtschaftsforschungsinstitut verweisen auf Deutschland, wo sich Arbeitgeber aus den Tarifabschlüssen herausoptieren können. Ein Ende der Pflichtmitgliedschaft könnte so längerfristig zu einer Schwächung der Institution Kollektivvertrag und in Bereichen zu einer Absenkung des Lohnniveaus führen. Statt "en marche" heißt es daher: taktieren.