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Den Verhältnissen unter Donald Trump das Wasser abzugraben, wird aus vielerlei Gründen eine schwierige Aufgabe für Joe Biden sein.
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Mit der Wahl Joe Bidens zum 46. US-Präsidenten verhinderte eine Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler das Schlimmste; nicht weniger, aber auch nicht mehr. Dem real existierenden Trumpismus das Wasser abzugraben wird sich indes als schwere, wenn nicht gar unmöglich zu bewältigende Aufgabe erweisen. Nichts bezeichnet den Zustand des Landes 2020 besser als das, was seit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses geschieht. Die Weigerung des Präsidenten und des Großteils seiner Partei, seine Niederlage anzuerkennen, erntet in den gleichen Medien, die einst atemlos über Barack Obamas vermeintliche Fehltritte bei der Garderobenauswahl und Hillary Clintons angeblichen E-Mail-"Skandal" berichteten, nicht einmal mehr ein Achselzucken. Wundern darf das freilich keinen in einem Land, in dem sich die Träger der öffentlichen Debatte immer noch allzu schwer damit tun, jene Mythen zu begraben, an denen sie bis heute wider jeder politischen und gesellschaftlichen Realität verzweifelt festhalten.
Mythos Nummer eins: die Existenz des sogenannten "moderaten" Republikaners, dessen wertkonservative Ansichten und Respekt vor demokratischen Normen sich mit Trumps Rechtspopulismus nicht vertragen. Wie sich bei der Wahl herausstellte, nehmen diesen Topos heute nur mehr Fernsehmoderatoren und -korrespondenten ernst, die Mitt Romney immer noch und ganz im Ernst für den konservativen Mainstream halten. Wer heuer Trump wählte und nur eine Minute damit verbrachte, sich mit dessen Realpolitik auseinander zu setzen, wusste derweil genau, was das bedeutet: Staatsschulden auf Rekordniveau, eine Steuerpolitik, die allein auf die Umverteilung von unten nach oben abzielt, Umweltverschmutzungs-Erleichterungen für die Industrie galore und eine Minderheiten- und Einwanderungspolitik, die sich als grausam nur unzulänglich beschreiben lässt.
Bis heute warten 545 an der US-Grenze zu Mexiko von ihren Eltern getrennte Kinder – manche davon Säuglinge – darauf, ihre Eltern wieder zu sehen. Dank der Inkompetenz des Department of Homeland Security unter Trump, der als Präsident Neonazis als "sehr gute Menschen" pries, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nie dazu kommen. 71 Millionen Amerikaner, acht mehr als 2016, haben mit ihrer Stimme bewiesen, dass sie all das ausdrücklich gut heissen.
Mythos Nummer zwei: Trumps Abwahl sei ein Beweis dafür, dass die US-Institutionen nach wie vor intakt seien. Faktisch war und ist genau das Gegenteil der Fall. Während der Präsident und seine Familie etwa das Justizministerium bis heute als ihr privates Anwaltsbüro betrachten, waren es nicht die dort arbeitenden Beamten, sondern die Proteste der Opposition und der Öffentlichkeit, die unermüdlich die Aufmerksamkeit auf die jeder Bananenrepublik würdigen Vorgänge dort lenkten und damit das Schlimmste verhinderten. (Begnadigungen für verurteilte, aber politisch genehme Schwerverbrecher etwa bildeten in den vergangenen vier Jahren nur die Spitze des Eisbergs.)
Mythos Nummer drei: Die Demokraten seien bei dieser Wahl im Geld geschwommen, aber die Tatsache, dass sie trotzdem Kongresssitze verloren, sei ein Beweis, das Geld auch in den USA nicht alles ist. Eine These, bei der sich jeder, der mit amerikanischen Verhältnissen auch nur periphärst vertraut ist, nur auf den Kopf greifen kann. Die schlichte Wahrheit ist, dass es sich republikanische Kandidaten lockerst leisten können, für Wahlen weniger Geld einzusammeln als die Demokraten, weil sie zum Transportieren ihrer Inhalte schlicht nicht darauf angewiesen sind.
Wer den bundesweit reichweitenstärksten Nachrichtensender hinter sich hat (Fox News) und eine gleich geschaltete Sendergruppe, die mittlerweile fast allein bestimmt, was Zuschauer am Land an Lokalnachrichten zu sehen bekommen und was nicht (Sinclair), braucht sich auch ohne volle Schatulle keine Sorgen zu machen, weil die rechte Indoktrinations-Maschinerie auch außerhalb von Wahlkampfzeiten rund um die Uhr arbeitet.
Weshalb die Republikaner jetzt auch unter Biden, wie schon unter Obama, keinerlei Interesse an konstruktiver Regierungsarbeit zeigen werden. Warum auch? Mit ihrer Mehrheit im Oberhaus (die Senats-Nachwahlen in Georgia werden daran wahrscheinlich nichts ändern) können sie weiterhin jeden auch noch so kleinen Fortschritt im Keim ersticken. Für den Rest sorgt die konservative Übermacht auf den Bänken des Supreme Court und der Berufungsgerichte. Im Ergebnis werden deshalb die Verhältnisse, die zu Trump führten, in den kommenden vier Jahren nur weiter verschärft werden, sodass der nächste von seinem Schlag – oder gar er selbst wieder, in vier Jahren wäre der Ex-Reality-TV-Star fast genau so alt wie Biden heute – sich schon jetzt auf 2024 freuen kann.