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Den Haag - Wenn der Internationale Strafgerichtshof (ICC) am 1. Juli in Den Haag seine Arbeit aufnimmt, heißt das nicht, dass künftig jeder Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen wird. Aber der Schraubstock werde angezogen, sagt der frühere Tribunalrichter George Abi-Saab. Die Gründerväter des ICC hätten "strikte Grenzen" bezüglich des Aktionsfeldes des Gerichtshofs festgeschrieben. Es laufe alles im Rahmen des internationalen Rechts ab.
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Der ICC werde jene zum Zweifeln anregen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen, und ihnen zeigen, dass sie damit nicht mehr ungeschoren davon kommen würden. Das sei nicht schlecht für ein "weiches" System wie das internationale Recht, sagt der frühere Professor des Genfer Instituts für internationale Beziehungen (HEI). Der gebürtige Ägypter weist auch auf die Bedenken hin, welche bei der Einsetzung der Kriegsverbrechertribunale für das frühere Jugoslawien und für Ruanda laut geworden waren. Diese beiden eigens eingerichtete Instanzen hätten schließlich mehr erreicht, als erwartet worden sei, auch wenn einige Angeklagte wie Radovan Karadzic weiter auf freiem Fuß seien.
Die internationalen Gerichtshöfe könnten nicht jeden verfolgen. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, Angeklagte zu verfolgen, die "bedeutende" Verbrechen begangen hätten. Abi-Saab betont auch die exemplarische Rolle des neuen Strafgerichtshofs für die Einzelstaaten. Das Gericht soll diese dazu bringen, gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher vorzugehen. Die Zuständigkeit des neuen Gerichtshofes, der die Tribunale ablösen wird, sei nicht rückwirkend gültig. Dies bedeute konkret, dass lediglich die nach dem 1. Juli 2002 begangenen Taten für Untersuchungen relevant seien. Osama bin Laden, der als Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 gilt, müsste somit theoretisch nicht vor dem Strafgerichtshof erscheinen, führt Abi-Saab als Beispiel an.
Ein weiteres Merkmal des ICC ist seine ergänzende Funktion. Der Gerichtshof kommt nur dann zum Einsatz, wenn einem Einzelstaat die Mittel oder der Wille zu einem Verfahren gegen Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit fehlen.
Der Gerichtshof, dessen 18 Richter im September bestimmt werden, werde seine Tätigkeit wohl erst in einigen Jahren vollumfänglich entfaltet haben. In der ersten Zeit werde der ICC wahrscheinlich auf Grund von Mandaten des UNO-Sicherheitsrates aktiv, sagt der Experte. Er findet das Abseitsstehen einiger Staaten mit den USA an der Spitze bedauerlich. Für das Gericht sei es ein Nachteil, bedeute aber nicht dessen Ende. Die USA dürften nicht glauben, sie hätten ein Veto gegen alles, was auf der Welt geschehe. Abi-Saab glaubt, dass auch Washington eines Tages das ICC-Statut ratifizieren werde.
Mit seinem Gesetz zur weltweiten Verfolgung von Kriegsverbrechen hat Belgien für den internationalen Gerichtshof eine Vorreiterrolle gespielt. Das Gesetz wird mit dem Fall des israelischen Premiers Ariel Sharon, dem Mitverantwortung bei den Massakern von Sabra und Shatila im Libanon angelastet wird, einem Härtetest unterzogen. Das weltweit einmalige Gesetz trat 1993 in Kraft und erlaubt es den belgischen Gerichten, Kriegsverbrechen, Völkermord sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Täters und dem Tatort zu ahnden.