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Ende des Börsenfrühlings? Das Kursbarometer sagt nicht immer nur etwas über das Wetter aus

Von Stefan Melichar

Analysen

Es stürmt wieder an der Börsenfront: Innerhalb der vergangenen eineinhalb Wochen ist der Wiener Leitindex ATX um rund zehn Prozent abgestürzt. Dass dies mit der tatsächlichen konjunkturellen Entwicklung zusammenhängt, darf bezweifelt werden; das Kursbarometer sagt nicht immer nur etwas über das Wetter aus.


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Gerade die Wiener Börse neigt zu übertriebenen Bewegungen in beide Richtungen. Da hier vergleichsweise wenig gehandelt wird, wirken sich Käufe und Verkäufe ab einem bestimmten Volumen besonders deutlich auf die Kurse aus. Die nunmehrigen Verluste stammen Analysten zufolge aus Gewinnmitnahmen: Große institutionelle Investoren hatten den Börsencrash in Folge der Finanzkrise genutzt, um günstig zuzukaufen. Von Anfang März bis Mitte Oktober war der ATX dann immerhin um 95 Prozent gestiegen, nun galt es, rechtzeitig den Hut zu nehmen und Gewinne zu realisieren.

Dass dabei leicht eine Kettenreaktion entstehen kann, liegt paradoxerweise an Selbstschutzmechanismen der Investoren: Viele fixieren von vornherein eine maximale Verlustgrenze. Sinkt der jeweilige Kurs unter dieses Limit, wird automatisch verkauft - wodurch der Kurs noch weiter abrutscht.

Es sind jedoch nicht nur institutionelle Anleger gewesen, die die Gunst der Stunde nutzen wollten: Laut Oesterreichischer Nationalbank (OeNB) haben auch heimische Privatinvestoren versucht, von den in der Krise gefallenen Kursen zu profitieren. Seit Mitte 2007 habe jeder private Anleger im Durchschnitt um 167 Euro inländische Aktien erworben, so die OeNB. Vielleicht interpretieren manche, die zum Höhepunkt der Finanzmarktturbulenzen noch vor einem Investment zurückgescheut sind, die jetzigen Kursverluste als willkommenes Zwischentief, um doch noch einzusteigen.

Dabei besteht allerdings das Risiko, dass sich der Börsenfrühling der vergangenen Monate nicht in diesem Maße weiter fortsetzt. Analysten halten den momentanen Kursrutsch für eine längst fällige Korrektur. Fast hätte die positive Börsenentwicklung vergessen gemacht, dass die Wirtschaftskrise alles andere als ausgestanden ist.

Weitere Belastungsfaktoren könnten anstehende Kapitalerhöhungen darstellen - unter anderem soll es bei der Erste Group diesbezügliche Planungen geben. Investoren droht in einem derartigen Fall eine Verwässerung ihrer Anteile. Auch hier lässt sich durchaus argumentieren, rechtzeitig im Rahmen eines Aktienverkaufs die Kursgewinne der jüngsten Vergangenheit zu Geld zu machen.

Nicht zu unterschätzen wären jedenfalls die negativen Folgen für die Realwirtschaft, sollten die Börsen weiterhin massiv nachgeben. Einerseits wäre die Möglichkeit für Firmen, sich frisches Kapital von den Märkten zu holen, wieder dahin: Kaum ein Unternehmen würde zu allzu niedrigen Kursen eine Kapitalerhöhung durchführen. Andererseits wären wohl auch die Auswirkungen auf die Banken - und damit auf den für die Wirtschaft lebensnotwendigen Kreditkreislauf - schwerwiegend.

Nicht zuletzt die kräftig anziehenden Finanzmärkte haben es den Banken erlaubt, die Krise viel rascher zu meistern, als zu erwarten gewesen wäre. Letztlich sind es Bewertungsgewinne aus dem Bereich des Investmentbankings, die die massiv gestiegenen Kosten für Problemkredite in den Bilanzen aufwiegen. Sollte gerade vor dem - als besonders heikel angesehenen - ersten Quartal 2010 dieses positive Standbein wegbrechen, müssten sich Wirtschaftstreibende, Arbeitnehmer und Politiker wohl warm anziehen.