Ministerpräsident Li Keqiang bereitet vor dem Nationalen Volkskongress das Land auf langsameres Wachstum vor.
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Peking. Es sind grimmige Zeiten angebrochen in China. Wie sonst lässt es sich erklären, dass die 2907 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses in Peking zu äußerster Sparsamkeit angewiesen wurden, ja, selbst ihre Getränkerechnungen in den Hotels selbst bezahlen müssen? Dergleichen wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen bei den Tagungen des chinesischen Parlaments, das auf dem Papier der oberste Gesetzgeber des Landes ist.
Praktisch beschränken sich die Tätigkeiten der Abgeordneten darauf, einmal pro Jahr Rechenschaftsberichte, Gesetze oder Resolutionen der Regierung durchzuwinken, was angesichts der ebenso zahlreichen wie langwierigen Gruppendiskussionen durchaus anstrengende Arbeit ist. 203 der Vertreter im Volkskongress und im Beraterparlament zählen zu den 1000 reichsten Personen Chinas, zumindest sie dürften die aktuellen Sparmaßnahmen verkraften. Auch wenn ihnen nahegelegt wurde, Konferenzmaterialien bitte online zu lesen, um Papier zu sparen.
Den Arbeits- und Rechenschaftsbericht von Li Keqiang gab es bei der Eröffnung am Donnerstag in der Großen Halle des Volkes dann aber doch auf Papier. Und so sanken die Köpfe der Abgeordneten immer tiefer in das umfangreiche Manuskript, während ihr Ministerpräsident am Rednerpult eine schlechte Nachricht nach der anderen verkündete. Der größte Hammer war bereits zuvor durchgesickert: Die Volksrepublik wird ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf sieben Prozent senken, so niedrig wie zuletzt vor 25 Jahren. "Das Wachstumsziel von schätzungsweise sieben Prozent berücksichtigt, was notwendig und was möglich ist", erklärte der Premier und fügte hinzu, dass die Wirtschaft bereits im vergangenen Jahr mit größeren Schwierigkeiten und Herausforderungen als erwartet und einem "wachsenden Abwärtsdruck" konfrontiert worden sei. Für 2014 hatte die Regierung noch ein Wachstumsziel von 7,5 Prozent angepeilt und dieses mit 7,4 Prozent knapp verfehlt.
Überraschend kommen die gedämpften Erwartungen nicht: Noch im letzten November hatte Staatspräsident Xi Jinping im Rahmen des Apec-Gipfeltreffens seine Staatsgäste beruhigt, dass China auch bei einem gebremsten Wachstum Motor und Speerspitze der Weltwirtschaft bleiben würde. Zuletzt hatte die Staatsspitze auch wiederholt betont, das Land sei in eine Phase des "neuen Normals" eingetreten, das von einer mittleren Wachstumsgeschwindigkeit charakterisiert wäre. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 9,38 Billionen Euro im Jahr 2014 wird China auch nur noch von den USA übertroffen, wodurch die zweistelligen Wachstumsraten vergangener Tage ohnedies kaum zu realisieren sind. Mit der schwächeren Konjunktur steigt jedoch auch das Haushaltsdefizit von 2,1 auf 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit um 38 Milliarden Euro auf 233 Milliarden Euro. Das ist im internationalen Vergleich nicht viel, allerdings werden die Schulden der Kommunen wesentlich höher eingeschätzt, auf bis zu 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Höherer Stellenwertfür den Umweltschutz
Doch Li stellte klar, dass die Zeiten großzügiger Konjunkturpakete und halsbrecherischer Wachstumsraten um jeden Preis vorbei seien: "Wir streben eine gesunde und ausgeglichene Entwicklung durch Reformen und eine Transformation des Wachstumsmodells an." Ziel sei ein "qualitatives, effizientes und nachhaltiges Wachstum", die Inflationsrate solle rund drei Prozent betragen und die Arbeitslosenquote dürfe 4,5 Prozent nicht übersteigen. Auch dürfe das Wachstum nicht mehr auf Kosten der Umwelt gehen: "Die Umweltverschmutzung ist an einigen Orten gravierend", mahnte der Premier und ging damit die Stimmungslage ein, die das chinesische Internet seit der Veröffentlichung einer Smog-Dokumentation am Wochenende dominiert.
Er griff auch etliche Forderungen der Doku direkt auf, etwa eine strengere Durchsetzung der bisherigen Gesetze mit empfindlichen Strafen, die Förderung neuer Energien, einheitliche Treibstoffstandards und weniger Abgasemissionen.
Nach den Protesten im letzten Jahr war mit Spannung erwartet worden, welche Worte der Premierminister zur Hongkong-Frage finden würde. Hier fiel ein kleines Detail auf: Erstmals sagte Li Keqiang in seinem Arbeitsbericht, dass die Angelegenheiten der Sonderverwaltungszone nach der chinesischen Konstitution geregelt werden sollten - und nicht wie in der Vergangenheit nach dem Grundgesetz der Stadt. Beobachter sehen das als Hinweis, dass der autonome Status Hongkongs weiter ausgehöhlt werden könnte. Der Unabhängigkeit Taiwans erteilte Li ebenso eine klare Absage und rief die Insel dazu auf, am "Ein China"-Prinzip festzuhalten. Zufall oder nicht - wenig später erwähnte der Premier den um zehn Prozent gesteigerten Wehr-Etat: "Wir werden unsere Interessen auf den Meeren resolut verteidigen und maritime Dispute angemessen regeln. Wir werden unser Ziel weiterverfolgen, eine starke Seemacht zu werden."
Zumindest in diesem Punkt schenkten ihm die Abgeordneten uneingeschränkten Beifall - bis auf Staatspräsident Xi Jinping, der dem 90-minütigen Vortrag mit versteinerter Miene und verschränkten Armen lauschte. Die schwierigen Zeiten drückten offensichtlich auf die Stimmung.