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Ende des liberalen Höhenflugs

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Europaarchiv

Clegg: "Wir zahlen den Preis für die Sparpolitik." | Absolute Mehrheit für Nationalisten in Regionalparlament. | London. Die Sieger der Regionalwahlen in Großbritannien sind Schottlands Nationalisten. Sie erreichten im Regionalparlament die absolute Mehrheit und kündigten sogleich ein Unabhängigkeits-Referendum an.


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Die schwerste Schlappe ihrer jüngsten Geschichte haben hingegen die britischen Liberalen hinnehmen müssen, die zusammen mit den Tories die Regierung in London stellen. Die Partei erlebte bei den Kommunal- und Regionalwahlen vom Donnerstag nicht nur katastrophale Einbrüche. Sie sah auch die Perspektive einer Wahlrechtsreform, die sie leidenschaftlich verfochten hatte, auf lange Zeit hin schwinden.

Ärger und Frustration über beide Rückschläge führten am Freitag bereits zu Rücktritts-Forderungen an Parteichef und Vize-Premierminister Nick Clegg. Einige prominente Liberalen-Vertreter beschuldigten die konservativen Koalitionspartner, sich beim Ringen um die Wahlrechtsreform unlauterer Mittel bedient und die Koalitions-Atmosphäre nachhaltig vergiftet zu haben.

Lord Ashdown, ein ehemaliger Vorsitzender der Liberalen, warf Cameron "Vertrauensbruch" vor. Der "gute Wille" auf beiden Seiten aus der Anfangszeit der Koalition im vorigen Mai existiere nicht mehr. Die Konservativen hätten mit einer "Serie von Lügen" die von den Liberalen erhoffte Reform zu Fall gebracht. Ähnliche Vorwürfe hatte bereits im Kabinett der liberale Energieminister Chris Huhne gegen Premier David Cameron erhoben. Der stellvertretende Vorsitzende der Partei, Simon Hughes, erklärte, es werde nun wesentlich härter und "geschäftsmäßiger" zugehen zwischen den Koalitionspartnern.

Bei den Kommunalwahlen in England fiel der Wähleranteil der Liberalen auf etwa 15 Prozent. Bei den Unterhauswahlen vor einem Jahr hatten sie noch 23 Prozent der Stimmen erhalten. Die Partei büßte fast die Hälfte ihrer Gemeinderatssitze ein und verlor in vielen nordenglischen Großstädten die dominierende Stellung, die sich in den letzten zehn Jahren erkämpft hatte. In Birmingham, Manchester, Liverpool, Leeds, Hull und Cleggs eigener Hochburg Sheffield brach ihre Basis ein. Von vielen progressiv gestimmten Wählern wurden ihr offenkundig das Bündnis mit den Tories und das Abrücken von einer Reihe von Wahlversprechen verübelt. Clegg sagte dazu, seine Partei sei für die jüngste drastische Sparpolitik der Regierung verantwortlich gemacht worden. Einige Wähler hätten sich wohl "erinnert gefühlt an manche Dinge unterm Thatcherismus". Die Liberalen müssten nun "ihre Anstrengungen verdoppeln", um eine eigene Linie deutlich zu machen.

Keine Einbußen verzeichneten dagegen die Konservativen. Sie konnten sich ihren Stimmenanteil im Großen und Ganzen erhalten. Beim Wahlrechts-Referendum hatte sich Cameron außerdem als einziger Parteichef für den Erhalt des traditionellen Mehrheitswahlrechts eingesetzt. Die sich am Freitag abzeichnende Mehrheit für diesen Erhalt durften sich Cameron und die Tory-Führung zuschreiben. Der rechte Flügel der Konservativen, der seinerseits dem Bündnis mit den Liberalen misstrauisch gegenüber steht, lobte den Einsatz und Erfolg des Tory-Premiers als "erstklassig".

Die oppositionelle Labour Party unter Ed Miliband verfehlte in Wales knapp die Absolute. Gewinne erzielte sie auch in England. In Schottland dagegen verlor sie dramatisch an Einfluss. Bei den dortigen Parlamentswahlen triumphierte stattdessen die Schottische Nationalpartei (SNP), die in den letzten vier Jahren bereits eine Minderheitsregierung stellte und künftig auf keine Partner mehr angewiesen ist.

"Historischer Sieg"

Es ist das erste Mal in der Geschichte des schottischen Parlaments, dass eine Partei eine absolute Mehrheit erzielte. Politiker aller Couleur sprachen von einem "historischen" Wahlsieg. Im Zeichen dieses Wahlsiegs kündigte Schottlands SNP-Regierungschef Alex Salmond an, dass seine Regierung in der nächsten Legislaturperiode ihre lang geplante Volksabstimmung zur Loslösung vom Rest des Vereinigten Königreichs abhalten will. Man habe jetzt endlich ein Mandat dafür, sagte Salmond. Die SNP will Schottland zu einem eigenen Staat im Verbund der EU machen. Alle anderen Parteien widersetzen sich einer solchen Unabhängigkeits-Erklärung.