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Hamas beschießt auch Jerusalem, | Israel zieht Truppen zusammen.
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Tel Aviv. Das Leben in Tel Aviv schien trotz des drohenden Kriegs zunächst wie gewohnt weiterzugehen: starker Verkehr in den Straßen, Menschen in Bars und Restaurants, volle Geschäfte. Nicht umsonst wird die Stadt, die angeblich niemals schläft, auch die "Blase" genannt. Wenn es anderswo im Land brennt, dreht sich das Rad der Zeit hier ganz normal weiter. Doch am Donnertagabend um 19 Uhr holte Sirenen-Geheul die Menschen in dieser Blase unsanft zurück in die Realität. Es war der erste Luftalarm seit 1991, als der irakische Präsident Saddam Hussein seine Scud-Raketen nach Tel Aviv feuern ließ. Für viele junge Menschen in der als lebenslustig und liberal geltenden Stadt war es der erste Luftalarm überhaupt.
"Wir warten hier im Stiegenhaus", sagte eine Frau im Pyjama am Eingang zu einem Haus im Zentrum von Tel Aviv. "Keine Ahnung, wo hier der nächste Bunker ist." Nervös versuchte sie, über ihr Mobiltelefon Freunde und Verwandte zu erreichen. Doch das Netz war sofort überlastet. Anderswo flüchteten die Menschen nach dem Alarm in Panik aus Bussen und Autos, um sich mit den Armen über dem Kopf auf den Boden zu legen. Doch Tel Aviv hatte Glück, eine der Raketen landete auf einer Freifläche, eine andere im Meer.
Die Fajr-5-Raketen verfügen zwar über eine deutlich höhere Reichweite als die sonst von der radikalislamischen Hamas aus dem Gazastreifen abgefeuerten Kassam-Geschosse, ihre Zielgenauigkeit ist aber relativ gering. Auch eine am Freitag um die Mittagszeit abgefeuerte Fajr-5 landete in der Nähe von Tel Aviv im Meer, eine weitere Rakete mit dem Ziel Jerusalem ging vor der Stadt nieder, ohne Schaden anzurichten. In Südisrael, das am Freitag weiterhin unter schwerem Raketenbeschuss stand, gab es nach den drei Toten vom Donnerstag ebenfalls keine neuen Opfer.
Israels Armee begann allerdings am Freitag damit, vor der Grenze zum Gazastreifen massiv Truppen zusammenzuziehen. Während die Luftangriffe mit fast unverminderter Intensität weitergingen, wurden an strategisch wichtigen Punkten Panzer und Haubitzen in Stellung gebracht. Das Militär will bis zu 75.000 Reservisten mobilisieren, um für eine eventuelle Bodenoffensive gerüstet zu sein.
Hoffnung auf ein baldiges Ende der Angriffe, die auf palästinensischer Seite mittlerweile schon 22 Todesopfer forderten, hatte in Gaza am Freitag der Besuch des ägyptischen Ministerpräsidenten Hisham Kandil aufkeimen lassen. Kairo will den Druck auf die Konfliktparteien erhöhen, sich möglichst bald auf einen Waffenstillstand zu einigen. Bei einem Besuch eines Spitals im Gazastreifen beschuldigte Kandil Israel für die Gewalteskalation: "Diese Tragödie kann nicht still vorübergehen. Die Welt sollte Verantwortung übernehmen und diese Aggression stoppen."
Die Chancen auf einen tragfähigen Waffenstilstand stehen zurzeit jedoch schlecht. Kritik am Einsatz in Gaza wird in Israel nur vereinzelt laut. So ist Tel Aviv zwar im vergangenen Jahr zwar für seine Zeltproteste gegen hohe Lebenskosten bekannt geworden, die bis zu einer halben Million Menschen auf die Straße gebracht haben. Eine erste Demonstration gegen eine israelische Invasion in Gaza mobilisierte hingegen nur wenige hundert Menschen.
Wahlen im Jänner
Wenn Israel von außen bedroht wird, stehe die Mehrheit üblicherweise hinter dem Militär, sagt Natalie, eine Kunststudentin und Aktivistin, die spontan an der kurzfristig organisierten Kundgebung teilgenommen hat. "Für mich ist aber auch klar, dass dieser Angriff auf Gaza nichts mit dem Schutz der Menschen in Südisrael zu tun hat", sagt Natalie. Sie selbst habe nahe an der Nordgrenze Israels gewohnt und dort immer wieder Raketenangriffe miterlebt. Die israelische Regierung habe die vergangenen vier Jahre lang nichts getan, um den Menschen im Süden mehr Luftschutzbunker oder stabilere Häuser zu bauen.
Was für sie tatsächlich hinter der Intervention in Gaza steckt, haben Natalie und ihre Mitdemonstranten auf ihren Transparenten deutlich gemacht: Israel stimmt im Jänner über ein neues Parlament ab und in weniger als zwei Wochen finden innerhalb der regierenden Likud-Partei schon Vorwahlen statt. Tatsächlich wollte kaum jemand, der in der Partei um einen Listenplatz kämpft, den Raketenbeschuss auf hunderttausende Menschen in Südisrael unbeantwortet lassen.
Bei dem Protest in Tel Aviv versuchte man, über dieses Freund-Feind-Schema hinauszuschauen und stattdessen das Leiden der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten hervorzuheben. Einer der Slogans war dabei: "In Gaza wie auch in Sderot wollen unsere Kinder am Leben bleiben.
Israel hat am Freitag laut palästinensischen Angaben einen weiteren Kommandanten der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen, den Militärchef für den mittleren Abschnitt, Ahmed Abu Jalal, getötet. Am Mittwoch war bereits der Miitärchef der Hamas, Ahmed al-Jabari, getötet worden.