Nairobi - Zwei Schülerinnen waren die Vorreiterinnen: Vor genau einem Jahr erstritten sich die Mädchen in Kenia vor Gericht das Recht, ihre Körper nicht verstümmeln zu lassen. Gegen den Willen ihres Vaters verweigerten sich die 14-Jährigen dem Ritual der Klitoris-Beschneidung. In der vergangenen Woche nun kündigte Präsident Daiel arap Moi zum Unabhängigkeitstag seines Landes dieses Recht für alle Kenianerinnen an: Die Geschlechtsverstümmelung von unter 17-Jährigen ist ab sofort gesetzlich verboten.
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Ältere sollen die freie Wahl haben. "Wer sich weigert", verspricht der Präsident, "steht unter dem Schutz des Gesetzes."
Für Nyambura kam diese Rettung genau ein Jahr zu spät. "Es ist Zeit, lass uns gehen", waren die Worte, mit der ihre Mutter die 14- Jährige im Morgengrauen zur Beschneidung führte. "Wie ein Lamm auf dem Weg zum Opferaltar", so erinnert sich das Mädchen aus Zentralkenia, habe die Mutter sie zu der Frau mit der Rasierklinge gebracht. "Alle hatten mir von einem reinigenden Ritual erzählt. Doch es war die Hölle." Die Klinge rasierte ihre Klitoris ab. Der Schmerz über die Verstümmelung wird nie versiegen. "Meine Eltern haben mir mein Gefühl genommen", sagt das Mädchen vom Stamm der Kikuyu. Doch ihr bleibt ein Trost: "Meine eigenen Töchter werde ich später vor so etwas bewahren."
Die Ankündigung des neuen Gesetzes kam rechtzeitig zur Hochsaison. Der Dezember gilt in Kenia als traditioneller Beschneidungsmonat. Ganze Dörfer in dem ostafrikanischen Land nutzen die langen Weihnachtsferien, um Tausende von Mädchen dem Ritual zu unterwerfen, das in der Regel den Übergang vom Kind zum Frausein markiert. "Vielen der Mädchen ist vorher nicht bewusst, welcher Tortur sie sich unterziehen", sagt Frauenrechtlerin Ruth Kibithi. "Die meisten leiden ein Leben lang unter den Folgen. Viele leiden wochenlang unter Erkrankungen, und nicht wenige sterben daran."
Der Schnitt wird ohne Betäubung und meist unter mangelhaften hygienischen Bedingungen vollzogen. Mit Messern, Rasierklingen oder Glasscherben entfernen traditionelle Beschneiderinnen, meist ältere Frauen, den Mädchen ihre Klitoris und - je nach Stamm - auch die Schamlippen. "In einigen Teilen Afrikas werden die beschnittenen Mädchen bis auf eine kleine vaginale Öffnung zugenäht und erst in der Hochzeitsnacht wieder geöffnet", erklärt Soziologin Kibithi.
Unmittelbare Folgen der Beschneidung sind häufig Entzündungen, übermäßiger Blutverlust oder schmerzhafter Rückstau von Urin. Durch die Vernarbung haben die Beschnittenen später Probleme bei der Menstruation, beim Urinieren oder der Geburt ihrer Kinder.
"Viele Frauen leiden ihr Leben lang unter Depressionen", weiß Kibithi. Sie und andere Frauenrechtlerinnen in Kenia sehen das neue Gesetz zwar als Teilsieg. Doch eine wirkliche Besserung könne nur die veränderte Einstellung der Männer bringen. "Für viele ist die Beschneidung der Frauen um ihr sexuelles Verlangen ein gutes Kontrollmittel. Oder sie ist Grundlage für Polygamie."
Nach einer drei Jahre alten Studie sind 38 Prozent aller Kenianerinnen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass 130 Millionen Frauen und Mädchen in 28 Ländern dem Ritual unterzogen wurden. Jährlich werden es rund zwei Millionen mehr. Spitzenreiter der afrikanischen Länder unterhalb der Sahara ist Somalia. Dort ist nahezu jede Frau beschnitten. Auch Gesetze haben den Frauen in manchen afrikanischen Ländern keine Besserung gebracht.