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Lobby "Deutsches Atomforum" wehrt sich gegen die Aufgabe von Gorleben.
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Berlin. Jahrzehntelang spaltete das Thema Politiker und Bürger, nun hat man endlich eine Lösung gefunden: Deutschland fängt von vorne an, nach einem Endlager für seinen Atommüll zu suchen. Bis zum Jahr 2040 wird die Bundesrepublik auf 280.000 Kubikmeter radioaktivem Abfall sitzen, zehn Prozent davon hochradioaktiv, lautet die Prognose.
Doch bis heute gibt es keinen Ort, um das Gift langfristig und sicher zu lagern. Und bis die Bundesrepublik einen solchen gefunden hat, werden noch viele Jahre vergehen. Dennoch: Die Einigung von Bund und Ländern ist bedeutend. So erstaunlich es klingen mag - zum ersten Mal soll eine Expertengruppe Kriterien erarbeiten, die ein solches Giftlager zu erfüllen hat. Anschließend will man einen geeigneten Standort benennen.
Laut Grünen wollte man Gift DDR vor die Nase setzen
Bisher ging es umgekehrt. In den 1970er Jahren war der Salzstock Gorleben im Bundesland Niedersachsen als Standort ausgesucht worden. Die Gegend ist bezaubernd. Es gibt Fachwerkhäuser, Wald, Ruhe. Doch in der Nähe des Bergwerks, das seit 30 Jahren erkundet wird, lagert bereits hochradioaktiver Müll, eingezäunt in einer Halle und gut bewacht.
"Das ist natürlich ein blödes Gefühl", sagt Wolfgang Wiegreffe, parteiloser Bürgermeister der Nachbargemeinde Trebel. Sobald das Gift heruntergekühlt und ein Endlager fertiggestellt ist, soll es dorthin gebracht werden. Eine Million Jahre muss radioaktiver Müll sicher lagerbar sein, lautet der wissenschaftliche Konsens. Gorleben müsse aufgegeben werden, findet Wiegreffe und spricht von einer "rein politischen, keiner fundierten Entscheidung", die zur Wahl des Salzstocks geführt habe.
Auch die Grünen sehen das so. Der damalige Ministerpräsident Niedersachsens habe der DDR das Gift vor die Nase setzen wollen, da Ostdeutschland das Endlager Morsleben an der Grenze zu Niedersachsen gebaut hatte. Zudem habe man sich in der dünn besiedelten Umgebung Arbeitsplätze erhofft. Sicherheitsstandards wurden erst 1983 festgelegt.
Im Gebirgszug Asse, ebenfalls in Niedersachsen, war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Unglück geschehen. Man hatte Fässer mit Atommüll in ein ehemaliges Salzbergwerk gebracht. Bis heute sickert Wasser ein, und das Salz löst sich auf. Die Asse droht einzustürzen. Mühsam versucht man nun, das Bergwerk zu stabilisieren und die 126.000 Fässer durch die bis zu 40 Meter dicke Salzschicht zurückzuholen - freilich, ohne dabei ein Fass anzubohren.
Merkel 1995: "Gorlebenist die erste Wahl"
Wie man dann noch überhaupt auf die Idee kommen könne, an den Salzstock Gorleben als sicheres Lager denken zu können, polterten jahrelang die Gorleben-Gegner. Der Protest gegen den Standort ist gewaltig. Befürworter verwiesen indes auch darauf, dass es sich bei Gorleben schließlich nicht um ein ausgeschlachtetes Bergwerk wie bei der Asse handle. 1995 verkündete die damalige Umweltministerin und heutige Kanzlerin Angela Merkel: "Gorleben ist die erste Wahl." Es gebe keinen besseren Standort. Anderswo war damals allerdings nicht gesucht worden.
Darauf achteten auch die vier Atomkraftbetreiber in Deutschland, nämlich Vattenfall, E.ON, EnBW und RWE. Sie sind es, die zum Großteil die Kosten für ein Endlager zu tragen haben. Bis heute wurden etwa 1,6 Milliarden Euro in Gorleben investiert. Ein Ausstieg aus Gorleben bedeutet einen großen finanziellen Verlust. Erst jetzt, da sich Bund und Länder auf einen Neustart bei der Suche geeinigt haben, soll das keine Rolle mehr spielen: Das Umweltministerium rechnet mit zwei Milliarden Euro, die den Atomkraftbetreibern eine Prüfung der verschiedenen Standorte kosten wird.
Der Lobbyverband "Deutsches Atomforum" will sich wehren: Es gebe "nach unserer rechtlichen Auffassung keine Grundlage" dafür, zusätzliche Kosten zu übernehmen. Zuerst einmal solle nachgewiesen werden, dass Gorleben nicht geeignet sei für die Endlagerung von Atommüll.
Doch die Politik hat anders entschieden. Zunächst einmal wird bis 2015 eine 24-köpfige Kommission einen Kriterienkatalog vorstellen. Möglicherweise wird Gorleben die dann formulierten Anforderungen erfüllen, vielleicht aber auch nicht. Das ist völlig offen. Und das dies möglich ist, liegt auch an dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann von den Grünen.
Bis 2031 soll Standort für Endlager gefunden werden
Dessen konservativen Vorgänger hatten sich stets strikt geweigert, in ihrem Bundesland ein Lager in Betracht zu ziehen. Auch Bayern hatte lautstark dagegen gesprochen. Dabei käme neben Salz auch Ton und Granit für die Lagerung in Frage. Beides gäbe es in Süddeutschland.
Doch welcher Wähler möchte schon ein Endlager in seiner Umgebung haben? Kretschmann sagte dem "Spiegel" dennoch vor zwei Jahren, man müsse ernsthaft nach einem geeigneten Standort suchen. Das heiße "natürlich auch, dass man auch finden darf. Sonst ist es eine Mogelpackung." Der damalige Umweltminister Norbert Röttgen von der CDU nahm den Vorschlag an - auch, weil Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer vor dem Hintergrund der Katastrophe in Fuku-shima zumindest kurzzeitig davon sprach, dass sich auch der Freistaat an der Suche beteiligen werde. Mittlerweile rudert Seehofer freilich wieder zurück und schwächt ab: Einen Ort in Bayern, wo "so etwas denkbar erscheint", gebe es nicht.
Man wird sehen. Bis spätestens 2031 soll Deutschland laut der Einigung von Bund und Ländern einen Endlager-Standort gefunden haben.