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Manila/Singapur - Sie schienen ihre wieder gewonnene Freiheit selbst nicht zu begreifen, und mancher hatte schon den nächsten Fehlschlag im Ringen um die Geiseln auf Jolo einkalkuliert. Zu oft schon war den Gefangenen die Freilassung nach monatelangem Martyrium versprochen worden, zu oft schon hatte Chefunterhändler Roberto Aventajado Hoffnungen geschürt, die dann wie eine Seifenblase platzten. "Ich will ja nicht wie eine Schallplatte mit einem Sprung klingen", räumte er kürzlich nicht ohne Selbstironie ein.
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Nun scheint endlich eine Schneise in den dichten Verhandlungs- Dschungel auf Jolo geschlagen: Die Kidnapper hielten Wort und setzten wenigstens einen Teil ihrer Geiseln auf freien Fuß. Und wenn sie ihre Zusagen weiterhin nicht brechen, könnte das schier endlose Drama im philippinischen Urwald bis zum nächsten Freitag ein Ende haben.
Vor mehr als einer Woche hatte der philippinische Präsident Joseph Estrada noch versucht, Macht und Härte in den Verhandlungen zu demonstrieren - und eine Freilassung in Gruppen abgelehnt. Die Folge: die Moslemgruppe Abu Sayyaf ließ niemanden gehen. In den vergangenen Tagen scheinen nun er und die Unterhändler verstanden zu haben, was von Beginn an klar war: Nicht sie, sondern die Extremisten sind es, die in dem Dschungeldrama das Drehbuch diktieren.
Menschlichen Faustpfänder
Die Strategie der Terrortruppe liegt auf der Hand. Indem sie die "menschlichen Faustpfänder" nach und nach auf freien Fuß setzen, sichern sie ihren Abzug von Jolo ab. Immer wieder hatte das Militär mit einem Vernichtungsschlag gedroht, sollte die Geiselkrise einmal zu Ende sein. Hunderte Mitglieder der Gruppe flohen inzwischen mitsamt ihrer Familien von der Insel. Wie die letzten Geiseln freikommen sollen, darüber sind nur Spekulationen möglich: Beobachter halten es für möglich, dass die Kidnapper sie in der Nacht auf dem Meer aussetzen könnten, um dann in der Dunkelheit zu verschwinden.
Insgesamt kassierten die Moslemextremisten nach Angaben aus Vermittlerkreisen bislang weit über zehn Millionen US-Dollar - in der bitterarmen Region mehr als ein Vermögen. Ein Großteil floss in Hunderte neuer Waffen wie Sturmgewehre und Granatwerfer. Wenn alle Geiseln frei sind und sich die Weltöffentlichkeit vom "Wilden Westen" der Philippinen wieder abwendet, wird die Regierung in Manila ein innenpolitisches Problem mehr auf der Tagesordnung haben.
Warum nicht schon früher?
Jetzt, da das Geiseldrama möglicherweise vor dem Ende steht, werden Fragen laut, weshalb dies nicht schon früher möglich gewesen war. Doch das Vorgehen der philippinischen Regierung schien oft wie eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen: Schon zu Beginn des Geiseldramas hatten planlose Armeebewegungen auf der kleinen Insel die Entführten in die Schusslinie geraten lassen und zu nichts anderem als tagelangen Odysseen durch den Urwald geführt. Dann traten die Gespräche wochenlang auf der Stelle. In Manila schien sich niemand mehr so recht für das Thema zu interessieren.
Empfang bei Gaddafi
Von Fehlschlägen verfolgt, wird nun auch noch ausgerechnet Libyen mittels großzügiger Geldgeschenke den Bonus für den Erfolg in den Vermittlungen einstreichen - jenes Land, das die Rebellenbewegung im Süden jahrelang mit Geld und Waffen unterstützte. Die sonst übliche Präsentation der Ex-Geiseln in Zamboanga gemeinsam mit Chefvermittler Aventajado fiel aus; stattdessen bestiegen die Fünf sofort eine Militärmaschine, die sie zu einem libyschen Flugzeug brachte - Zielort Tripolis. Der medienwirksame Empfang der Freigelassenen ist diesmal Revolutionsführer Muammar el Gaddafi vorbehalten.