Im Atomstreit gibt es noch viele Hürden. Trotzdem wollen der Westen und der Iran bis zur Deadline am 30. Juni einen Deal erzielen.
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Wien. Nur noch vier Tage sind es bis zur Deadline im 13 Jahre andauernden Atomstreit und der Faktor Zeit ist nicht der einzige, der den Verhandlern der 5+1-Gruppe (fünf UN-Vetomächte plus Deutschland) und dem Iran zu schaffen macht.
Noch sind sehr viele Fragen offen und neben der Frist gibt es eine wichtige andere Zäsur. Viele der seit Jahren mit dem Dossier befassten Diplomaten werden sich zurückziehen und die Atomgespräche verlassen: Darunter sind die US-Chefverhandlerin Wendy Sherman und die Iran-Sonderbeauftragte der EU, Catherine Ashton. Letztere war in letzter Zeit ohnehin kaum mehr in Erscheinung getreten. Aber auch für US-Außenminister John Kerry und seinen iranischen Kollegen Mohammad Javad Zarif, die den Wiener Mammut-Atom-Kongress im Beisein von 500 Journalisten und 250 Diplomaten am Wochenende einläuten werden, ist eine Lösung entscheidend für ihre politische Bilanz. Ebenso benötigen ihre Chefs, US-Präsident Barack Obama und Irans Präsident Hassan Rohani einen außenpolitischen Erfolg.
"Eine bittere Pille"
Während Irans Wirtschaft und die Iraner den Tag X, an dem die Sanktionen suspendiert werden und das (Geschäfts-)Leben wieder erblühen soll, kaum erwarten können, bremsen sieben Hindernisse noch die Euphorie der Verhandler: Am wichtigsten sind Ungereimtheiten beim Zeitplan und bei den Modalitäten für die Aufhebung der Sanktionen und bei den Inspektionen der iranischen Atom- und Militäranlagen. Außerdem im Fokus sind die iranischen Atomwissenschaftler und das Zusatzprotokoll des Atomwaffensperrvertrages (NPT). Letztlich wird auch darüber beraten, ob es eine automatische Rückkehr zum Sanktionsregime gibt, wenn der Iran sich nicht an die Abmachungen in einem etwaigen Deal hält.
Vor allem Frankreich und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bremsen die Hoffnungen für einen Deal. Denn sie wollen ein Abkommen nur akzeptieren, wenn der Westen Zugang zu allen Anlagen bekommt, was der Iran kategorisch ausschließt. "Teheran muss sich entscheiden, ob es die bittere Pille schlucken will", resümiert ein französischer Diplomat.
Zarif jedenfalls warnt vor "exzessiven Forderungen". Der Westen solle auf dem Boden der Realität bleiben und nicht in Illusionen schwelgen. Deutlich schärfer reagieren die Hardliner in der Islamischen Republik, die mit den Verhandlungen ohnehin nicht viel Freude haben. "Wenn es keinen Deal gibt, geht die Welt auch nicht unter. Wenn die (der Westen, Anm.) glauben, dass sie uns etwas aufzwingen können, werden sie sich noch wundern", so etwa einer der Kleriker in Teheran.
Wirtschaft im Vordergrund
Für den Obersten Geistlichen Führer des Iran, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, der in allen Belangen das letzte Wort hat, steht bei einer etwaigen Einigung die Aufhebung der für den Iran schmerzhaften westlichen Wirtschaftssanktionen im Vordergrund.
"Khamenei hat Chefverhandler und Außenminister Mohammad Javad Zarif und Präsident Hassan Rohani wissen lassen, dass er den Erfolg oder Misserfolg der Gespräche am Ende der Strafmaßnahmen messen werde. Vor allem die Wiederaufnahme des Iran in das internationale Finanztransaktionssystem Swift, das Ende des Öl- und Gasembargos der EU und die Rückkehr Teherans auf den Investmentsektor stehen für ihn an oberster Stelle", hieß es aus Khameneis Umfeld.
Momentan sind vor allem die Modalitäten der Sanktionslockerungen strittig. Der Iran möchte eine umfassende und sofortige Aufhebung des Großteils der Sanktionen, was der Westen - allen voran der US-Kongress - ablehnt. Für die als moderat geltende Regierung Rohanis ist ein Erfolg bei den Verhandlungen sehr wichtig, da er über ihre weitere Zukunft entscheidet. Gelingt Rohani und Zarif eine Einigung, so würde das den Reformern im Iran gewaltigen Auftrieb geben. Bleiben die Verhandlungen aber ergebnislos, dann würde das die Hardliner stärken. Letztere sind mit Rohanis Kurs gegenüber dem Westen ohnehin nicht glücklich und tolerieren ihn nur, weil Khamenei sich hinter die Regierung und die Verhandler gestellt hat.
Wenn als die Außenminister und Unterhändler im noblen Wiener Palais Coburg ab Freitag weiter am Vertragstext tüfteln, gibt es noch viele Sorgenfalten in den Gesichtern. Ein etwaiger Deal muss in Washington und Teheran den Kritikern verkauft werden und auch Israel und die arabischen Golfstaaten muss man von einem Abkommen erst überzeugen. Auch wenn der politische Wille auf beiden Seiten grundsätzlich vorhanden zu sein scheint, so gibt es also noch viele Hindernisse, die bis zu einer Unterschrift beseitigt werden müssen. Und selbst den größten Zweckoptimisten ist bewusst, dass die nächsten Tagen beinharte Knochenarbeit werden. Nach dem derzeitigen Stand ist es außerdem sehr wahrscheinlich, dass die Verhandlungen über die Deadline am 30. Juni hinaus verlängert werden.