Die EU-Abgeordneten wählen aus acht Kandidaten ihren neuen Präsidenten.
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Brüssel/Straßburg. Es könnte ein langer Wahltag werden. Wenn am kommenden Dienstag die EU-Parlamentarier bei ihrer Plenarsitzung in Straßburg ihren neuen Präsidenten bestimmen, könnte sich das Prozedere bis in den Abend hineinziehen. Denn dass der Nachfolger des deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz, der in die Bundespolitik wechselt, schon nach dem ersten Wahlgang feststeht, zeichnet sich keineswegs ab. Dafür müsste ein Kandidat eine absolute Mehrheit erhalten, also 376 Stimmen, wenn alle 751 Abgeordneten an dem - geheimen - Votum teilnehmen.
Doch selbst die zwei größten Fraktionen, die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten, verfügen jeweils nicht über diese Zahl an Stimmen. Gemeinsam würden sie es zwar, doch hat jede der Parteien einen eigenen Bewerber aufgestellt - was den Sozialdemokraten prompt den Vorwurf von der EVP eingebracht hat, eine Vereinbarung zu brechen. Immerhin haben einander die Fraktionsvorsitzenden vor Jahren schriftlich zugesichert, dass sich die Gruppierungen den Vorsitz teilen werden. Die Hälfte der Legislaturperiode ist verstrichen, und aus Sicht der EVP müsste nun deren Vertreter die Präsidentschaft übernehmen. Allerdings schicken die Sozialdemokraten nun Gianni Pittella ins Rennen, der in Konkurrenz zu EVP-Mann Antonio Tajani tritt.
Kampfabstimmung absehbar
Die zwei Italiener werden sich denn wohl auch einer Kampfabstimmung stellen. Die findet dann in einem vierten Wahlgang statt, wenn nur noch zwei Kandidaten zur Wahl anstehen. Anders als im ersten, zweiten und dritten Durchgang reicht dann schon eine einfache Mehrheit. Beim vierten Mal fällt die Entscheidung zwischen den zwei Bewerbern, die im dritten Anlauf die meisten Stimmen erhalten haben. Kommt es zu dem unwahrscheinlichen Fall eines Gleichstandes, kommen die Lebensjahre ins Spiel: Der Ältere gewinnt. Im Zweikampf Tajani gegen Pittella wäre das der 63-jährige Tajani.
Insgesamt kandidieren acht Abgeordnete aus den acht Fraktionen des EU-Parlaments. Drei davon sind Frauen: Helga Stevens von den Europäischen Konservativen und Reformern, Eleonora Forenza von den Linken sowie Jean Lambert von den Grünen.
Dennoch war es ein Mann, der lange Zeit als einzig möglicher Kompromisskandidat galt: Guy Verhofstadt, Fraktionsvorsitzender der Liberalen, der viertstärksten Kraft in der EU-Volksvertretung. Seine Position scheint aber geschwächt, nachdem er mit einem Bündnis mit den Euro-Kritikern aus der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung geliebäugelt hatte. Der Liberalen-Vorstand wandte sich gegen das Vorhaben.
So brechen mit dem Abgang von Schulz, eines Fürsprechers der großen Koalition, im EU-Parlament alte Bündnisse auf und werden neue nicht undenkbar. Die Sozialdemokraten wollen die Zusammenarbeit mit der EVP in der bisherigen Form nicht fortsetzen; Verhofstadt stellte Überlegungen zu einer Erweiterung seiner Fraktion an. Aber alle drei Parteien betonen, dass sie nur an einer Kooperation mit "pro-europäischen Kräften" interessiert seien.
Lunacek stellt sich Wiederwahl
Die Abstimmung über den Präsidenten ist übrigens nicht die einzige Personalentscheidung in der kommenden Woche. Auch die 14 Vizepräsidenten der EU-Volksvertretung werden erneut bestimmt. Unter ihnen befindet sich derzeit eine Österreicherin: die Grünen-Abgeordnete Ulrike Lunacek. Sie stellt sich am Mittwoch ihrer Wiederwahl. Ihre Chancen, den Posten weiter zu bekleiden, sind groß.