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Endstation der Sehnsucht

Von Thomas Seifert aus Athen

Politik

Tausende Flüchtlinge sitzen in den griechischen Hotspots und Camps fest.


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Athen. Hotspot. Hotspot heißt Brennpunkt, doch im EU-Sprech ist mit "Hotspot" ein Erstaufnahme- und Registrierungszentren gemeint. Im Hotspot sollen nach dem Willen der EU-Kommission Flüchtlinge unter Mithilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex direkt an der EU-Außengrenze registriert und identifiziert werden.

Vial auf der Insel Chios - von der man das türkische Festland gut sehen kann - ist so ein Hotspot. Stacheldraht, Zäune, Container. Und 1500 Seelen, die auf dem Weg von Syrien, Afghanistan oder dem Irak hier gestrandet sind.

Die Stimmung ist gereizt, erst vor einigen Wochen wurde die Zufahrtsstraße zum Flüchtlingslager von Dorfbewohnern der umliegenden Siedlungen blockiert, um das Aufstellen neuer Container zu verhindern. Die Hilfsbereitschaft der Griechen war nach Auskunft des Flüchtlingshelfers der humanitären Organisation Apostoli, Fotis Vlachos, lange Zeit vorbildhaft: "Die Bewohner der Insel sind Zeugen schlimmer Szenen geworden. Und sie haben nicht gezögert und großzügig geholfen." Diese Hilfsbereitschaft sei eben langsam am Ermüden.

Und auch bei den Menschen im Hotspot-Camp selbst liegen die Nerven blank. Es sei in Vial wie im Gefängnis, es gebe nicht genug Wasser, das Essen sei nicht adäquat und vor allem Frauen und Jugendliche hätten im Camp Angst, klagt ein junger Mann, der seit 75 Tagen in Vial lebt. Salmai, ein anderer der jungen Männer, die im Hotspot festsitzen, beginnt das Gespräch in holprigen Englisch mit den Worten "Very problem" - "Großes Problem." Er erzählt, dass er aus Kabul komme, doch weil er als Polizist im umkämpften Kunduz seinen Dienst versehen habe, sei er in Gefahr gewesen und geflüchtet. Doch Salmai bereut bereits, dass er die gefährliche Reise nach Europa angetreten hat, sagt er. "Hier sterben wir doch Stück für Stück. Wenn ich gewusst hätte, wie es hier ist, wäre ich nicht hierher gekommen." Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beklagt in einem Ende Mai erschienen Bericht die Zustände in den griechischen Hotspots, in denen derzeit über 8000 Menschen Leben: "Der mangelhafte Polizeischutz, Überfüllung und die unwürdigen Hygienezustände lassen in den mit Stacheldraht umzäunten Lagern eine von Chaos und Unsicherheit geprägte Atmosphäre entstehen", wird Bill Frelick, der für Flüchtlingsfragen zuständige Experte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, zitiert.

Griechenland, das mit der Staatsschuldenkrise im Jahr 2010 arg ins Taumeln geraten ist, hatte spätestens ab Sommer 2015 Schwierigkeiten, den Flüchtlings-Exodus im Sommer 2015 zu bewältigen. Als dann aber die Grenze zu Mazedonien im Frühjahr 2016 geschlossen wurde, gab es kein Weiterkommen von Griechenland in andere EU-Staaten mehr und nun leben nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats 54.000 Menschen in griechischen Flüchtlingslagern. Das EU-Türkei-Abkommen, das mit 20. März 2016 in Kraft trat, bedeutet für jene Flüchtlinge, die seither gekommen sind, dass sie nicht mehr weiter in andere EU-Länder im Norden reisen können.

Der evangelische Pfarrer und Direktor der Diakonie Österreich, Michael Chalupka, zeigte sich nach seinem Besuch auf Chios verärgert: "Während Außenminister Sebastian Kurz nach Internierungslagern ruft, scheinen sie in Chios und Lesbos schon im Ansatz verwirklicht." Denn auf den Inseln wie Chios mit seinem Hotspot habe der EU-Türkei-Deal zwar dazu geführt, dass viel weniger Flüchtlinge ankommen. Diejenigen, die aber bereits da seien, würden auf den Inseln nun wie in einer Falle festsitzen. Die Registrierung und die Erstinterviews des Asylverfahrens gingen äußerst schleppend vonstatten. "Im Hotspot leben die Asylwerber unter gefängnisähnlichen Bedingungen hinter Stacheldraht. Sie dürfen das Camp verlassen, allerdings nicht die Insel", sagt Chalupka.

Neben Vial gibt es auf Chios das vom UN-Flüchtlingshilfswerk betreute Flüchtlingslager Souda. Dort lebt der syrische Elektrotechniker Ahmed, der mit seiner Frau, den drei Söhnen und seinen über 80-jährigen Eltern aus Aleppo über die Türkei in die EU geflüchtet ist. "Warum kümmern sich die Politiker um Banken, aber nicht um Menschen?", fragt Ahmed. "Die Politiker sollen einfach ihre Arbeit machen, damit wir endlich ein Asylverfahren bekommen", sagt er in ausgezeichnetem Englisch. Immerhin, seine Kinder hätten jetzt die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, aber das reicht nicht, dass sie eine Zukunft haben", sagt Ahmed, dessen Schwiegervater in Österreich lebt. Er will so schnell wie möglich weg aus Souda, wo es nur Tage nach dem Gespräch mit Ahmed zu Ausschreitungen frustrierter Flüchtlinge gekommen ist.

Zelte auf heißem Asphalt

Szenenwechsel: Der Hafen von Piräus. In viereinhalb Stunden ist man von hier aus im Urlauberparadies Mykonos, in fünfeinhalb Stunden auf der Trauminsel Santorin. Doch für hunderte Flüchtlinge ist Piräus Endstation ihrer Sehnsucht nach Deutschland, Schweden oder Österreich. Zelte stehen auf dem heißen Asphalt, es gibt viel zu wenige Toiletten und Duschkabinen, Bäume, die in der Hitze Schatten spenden, sind nicht zu finden.

Sotiris Alexopoulos ist einer der Helfer, die seit Beginn der Flüchtlingswelle freiwillig helfen. Er hat in der Wirtschaftskrise seinen Job als Versicherungsexperte von Reedereien seinen Job verloren und sich mit anderen Arbeitslosen zusammengetan, um jenen zu helfen, die ärmer dran waren, als er. In dieser Hilfe hat er nun seine Bestimmung gefunden, nun mache er "endlich etwas Sinnvolles. Anstatt den Reichtum eines Reeders zu mehren, kann ich helfen, den Ärmsten der Armen zu helfen." Essensrationen, medizinische Hilfe, Zelte und die Betreuung der am Hafen gestrandeten haben die Freiwilligen organisiert. Doch Alexopoulos lässt auch Frustration über die mangelnde Hilfe der EU-Partner durchklingen. Schließlich sei das griechische Sozialsystem bereits vor dem Flüchtlingssommer im Jahr 2015 kollabiert.

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