Die City of London ist der traditionsreichste Finanzstandort der Welt. Ein EU-Austritt könnte sie ihrer Bedeutung berauben.
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London. "Man kann die Lombard Street am kürzesten und treffendsten mit der Aussage beschreiben, dass sie bei weitem die großartigste Kombination von wirtschaftlicher Macht und wirtschaftlicher Feinfühligkeit ist, die die Welt je gesehen hat", schrieb der britische Ökonom Walter Bagehot bereits 1873 über das Londoner Finanzzentrum. "Jeder weiß, dass es dort weit mehr unmittelbar verfügbares Kapital gibt als in jedem anderen Land."
Die Lombard Street erstreckt sich quer durch die sogenannte "City of London", den Finanzdistrikt der britischen Hauptstadt. Hier befinden sich die Bank of England und die Londoner Börse. In seinem Buch über die Lombard Street beschreibt Bagehot sie als geradezu mythischen Ort, wo Geld geradezu gescheffelt würde. Sie sei Zentrum der Geldbeschaffung gewesen, ein Ort, an dem man zu jeder Zeit jede Summe an Geld bekommen könne, wenn man nur ausreichend Sicherheiten bieten konnte. Es war die Wall Street des London des 19. Jahrhunderts.
Camerons Säbelrasselnmacht Banker nervös
Doch den goldenen Zeiten für die City of London droht ein jähes Ende. Der britische Premierminister David Cameron hat versprochen - so er im Mai 2015 wiedergewählt wird -, die Briten über einen möglichen Austritt aus der Europäischen Union abstimmen zu lassen. Globale Finanzunternehmen, die über einen Standort in London verfügen, sind darüber "not amused". Sollten die Briten sich für einen Austritt entscheiden, würde das für viele in London ansässige Finanzdienstleister den Verlust des uneingeschränkten Zugangs zum europäischen Binnenmarkt bedeuten. Dies würde möglicherweise dazu führen, dass so manches große Finanz-Unternehmen einen Standortwechsel in Betracht zieht. Für die britische Wirtschaft könnte das katastrophale Folgen haben. Mark Carney, dem Gouverneur der Bank of England zufolge, generiert der Finanzdienstleistungssektor etwa zehn Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Gleichzeitig stellt er Arbeitsplätze für über eine Million Briten. Viele davon wären bei einer Abwanderung großer Finanz-Unternehmen gefährdet.
Einer 2013 von der regierungsunabhängigen Mitgliedervereinigung der City - The City UK - durchgeführten Studie zufolge sind 84 Prozent der befragten Unternehmenschefs gegen einen britischen EU-Austritt. Sie alle sind der Meinung, dass eine Loslösung vom Binnenmarkt der EU London als Finanzstandort einen gravierenden Nachteil verschaffen würde. Bereits im Dezember 2013 drohte die US-amerikanische Großbank Goldman Sachs damit, einen Großteil ihrer Geschäfte nach Frankfurt oder Paris zu verlegen, sollte Großbritannien aus der EU austreten. Einem Bericht der britischen Zeitung "The Financial Times" zufolge erwägen nun auch andere Wall-Street-Riesen wie etwa Citigroup, die Bank of America und Morgan Stanley, ihre europäischen Hauptquartiere nach Irland zu verlegen.
Chris Cummings, Chief Executive von The City UK, ergänzt, dass ein alternativer Standort für diese Unternehmen sich nicht unbedingt innerhalb der EU befinden müsse. Frankfurt und Paris seien zwar wichtige Finanzstandorte, aber wenn Firmen darüber nachdenken, London zu verlassen, würden sie alle Optionen in Betracht ziehen und Europa könnte im Vergleich mit internationalen Finanzplätzen wie etwa Hongkong, Singapur und Tokio den Kürzeren ziehen.
Mit einem Austritt der Briten aus der EU will er sich dennoch so leicht nicht abfinden. "Ich glaube fest daran, dass Großbritannien ein Reformprogramm auf die Beine stellen kann, an dem andere EU-Länder teilhaben wollen, um nachhaltigeres Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn das passiert, wird es die Rolle der City zementieren und den britischen Einfluss in Europa vergrößern", so Cummings im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Auch Europa würde dadurch für internationale Investitionen attraktiver werden, sagt er. Es ist jedoch anzunehmen, dass die EU Wege finden würde, Firmen ihr Geschäft innerhalb des europäischen Binnenmarkts zu erschweren, sollten sich diese ganz aus Europa verabschieden. Aus dem Büro des EU-Binnenmarkt-Kommissars Michel Barnier hieß es diesbezüglich, dass Großbritannien "ein vollwertiges Mitglied der EU" sei und man nicht über hypothetische Szenarios spekulieren werde.
Britischer Austritt ist in niemandes Interesse
Noch im vergangenen Jahr ermutigte Barnier die Briten, sich an Reformen der EU zu beteiligen, anstatt aus der Union auszuscheiden. Man könne "einen Klub nicht reformieren, wenn man seine Mitgliedskarte zurückgegeben habe". Barnier fügte hinzu, Großbritannien könne versuchen, außerhalb der EU ein Teil des Binnenmarkts zu bleiben. An die britische Regierung gewandt warnte er jedoch: "Aber dann würden Sie das norwegische Syndrom erfahren. Das heißt, Sie müssten zum Budget beitragen und alle Regeln übernehmen, ohne diese mitzubestimmen."
Obwohl ein florierender Finanzstandort wertvoll für die Wirtschaft eines Landes sein kann, feiern andere europäische Städte die Möglichkeit eines britischen Austritts nicht. So sagt etwa Hubertus Väth, Geschäftsführer der Frankfurter Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance: "Obwohl wir glauben, ein Austritt der Briten wäre ein großer Verlust für beide, Großbritannien und die EU, müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es tatsächlich dazu kommen könnte. Viele Entscheidungsträger sehen Frankfurts Rolle als Platz für Handels- und Investitionsfinanzierungen und könnten ihre Entscheidungen, welche Geschäfte sie wo machen, zugunsten Frankfurts überdenken. Nichtsdestotrotz kann es nicht in unserem Interesse sein, dass Großbritannien die EU verlässt."