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Kanzler Gusenbauer: "Pro-Atom-Offensive abgewehrt". | Auch Frankreichs Präsident Chirac fühlt sich als Sieger. | Brüssel. "Es ist uns gelungen, eine Türe aufzustoßen", sagte eine strahlende Angela Merkel, nachdem sich die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag pünktlich zu Mittag auf eine umfassende neue Klimaschutzstrategie geeinigt hatten. "Ein Moment wirklicher Zufriedenheit" war es nicht nur für die deutsche Bundeskanzlerin und EU-Vorsitzende. Auch ihr österreichischer Kollege Alfred Gusenbauer bezeichnete seinen ersten EU-Gipfel als "großen Erfolg". Die "Pro-Atom-Offensive Frankreichs" sei verhindert und erneuerbare Energien seien als "verbindliches Ziel" fokussiert worden.
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Dazu zählen laut EU-Kommission Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie Erdwärme und Biomasse - Nuklearenergie jedoch nicht, wie Gusenbauer betonte. Wie bei EU-Kompromissen üblich, sieht sich auch der französische Präsident Jacques Chirac bei seinem wohl letzten EU-Gipfel als Sieger: Er habe alle seine Forderungen durchsetzen können. Einig sind sich unter der Hand aber alle, dass die wirklich "harten Verhandlungen" noch bei der Umsetzung der ehrgeizigen Ziele bevorstehen.
Denn im Kompromiss der EU-Chefs wird ein verbindliches Ziel von 20 Prozent Anteil erneuerbarer Energien am gesamten EU-Energiemix im Jahr 2020 festgeschrieben. Das bedeutet eine gute Verdreifachung. Wie viel jedes Land dazu beitragen muss, soll die EU-Kommission im dritten Quartal 2007 vorschlagen.
Jeder ein Sonderfall
Die Aufteilung der Verpflichtungen soll "fair" sein und die "unterschiedlichen nationalen Ausgangslagen und Möglichkeiten, einschließlich des bestehenden Anteils erneuerbarer Energien und des bestehenden Energiemixes" berücksichtigen, heißt es in den Gipfelbeschlüssen. "Jeder Mitgliedstaat betrachtet sich als Sonderfall, und damit sind sie alle wieder gleich", sagte Merkel.
Der Verweis auf den Energiemix lässt freilich Argumentationsspielraum für Paris offen. Wegen seines Beitrags zum ebenfalls beschlossenen EU-Ziel von 20 Prozent weniger CO 2 -Emissionen bis 2020 durch den hohen Anteil von Atomenergie könnte Frankreich versuchen, einen Abschlag bei seinem Beitrag für das Ziel erneuerbarer Energien zu bekommen. Die Franzosen decken 40 Prozent ihres Gesamtenergieverbrauchs und vier Fünftel ihres Strombedarfs durch Kernenergie.
Und "die Anzahl der Mitgliedsstaaten, die ihr Heil in der Atomkraft suchen wächst von Tag zu Tag", sagte Gusenbauer. Daher "empfehlen" die EU-Chefs in den Gipfelbeschlüssen eine "breit angelegte Diskussion über die Chancen und Risiken der Kernenergie." Mit den Chancen ist Berlin Tschechien entgegengekommen, mit den Risiken Österreich.
Wie Merkel verspricht sich der Bundeskanzler durch die neue Klimastrategie einen "Technologie- und Innovationsschub" vor allem im Bereich der erneuerbaren Energiequellen. Die Regierung hat sich bereits zu einer knappen Verdopplung des Anteils auf 45 Prozent bis 2020 verpflichtet.
Als Erfolg wertete Gusenbauer auch, dass das Thema Verkehr und "Initialisierung der externen Kosten in einer Ratserklärung enthalten" seien. Die finanziellen Belastungen für durch den Verkehr verursachte Gesundheits- und Umweltschäden will Österreich seit langem in die Straßenmaut einfließen lassen. Eine zeitliche Perspektive gibt es dafür allerdings nicht.