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Am 10. August 2000 titelte die "Chicago Tribune": "Öl-Interessen könnten die US-Außenpolitik lenken." Der Titel scheint prophetisch, wenn man bedenkt, dass der derzeitige Präsident der USA, George W. Bush, einmal eine Ölfirma besaß, dass der Vizepräsident Dick Cheney der frühere Aufsichtsratsvorsitzende bei Halliburton, dem weltweiten Marktführer für Dienstleistungen in der Ölindustrie, war und dass Bushs Beraterin für Fragen der Nationalen Sicherheit, Condoleeza Rice, im Aufsichtsrat von Chevron sitzt. Aber hinter dem Titel steckt auch eine Interpretation von politischen und wirtschaftlichen Fakten, die von manchen als Rechtfertigung der weltweiten Vorherrschaft der USA gehandelt wird.
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Zbigniew Brezinski, der Berater für Fragen der Nationalen Sicherheit von US-Präsident Jimmy Carter, sagte einmal: "Ohne anhaltendes und lenkendes amerikanisches Engagement würden die Kräfte des globalen Chaos bald die Welt beherrschen." Viele haben aber auch den Eindruck, dass es den USA vor allem um die Schlüsselinteressen Öl und Gas geht.
Ölreserven sinken
Seit den späten 1940er-Jahren ist einer Rezession in den USA stets ein steiler Anstieg des Ölpreises vorangegangen. Öl und Erdgas stellen 64 Prozent der weltweiten Energie, aber beides sind begrenzte Ressourcen. Die nachgewiesenen Ölreserven der USA sind im letzten Jahrzehnt um 20 Prozent gesunken; ein weiteres "rasches Abnehmen" der Förderung aus diesen Ölfeldern ist vorhergesagt. Für Felder in der Nordsee gibt es ähnliche Prognosen. Energie droht knapp zu werden.
Zu lange wurde das Energieproblem ignoriert. Die Investition in erneuerbare Energien war minimal und die USA hatten schon seit Jahrzehnten keine umfassende Energiepolitik. Elektrizitätsausfälle in Kalifornien und US-Preisspitzen bei Öl und Erdgas sind nur ein Beweis dafür. Auch amerikanische Kritiker meinen: Amerikas Politik sei eher von Öl- und Energiekonzernen als vom Hausverstand bestimmt worden. Enron war einer der Hauptberater für die letzte Runde der US-Energievorschläge, was nach dem Bankrott des Konzerns ein bezeichnendes Licht auf die US-Energiepolitik wirft.
Energie geht zur Neige und die Zeit mit ihr. Es braucht drei bis fünf Jahre, um zusätzliche Öl- und Erdgas-Kapazitäten in das Netz zu speisen.
Rohöl aus dem Mittleren Osten beläuft sich auf etwa 25 Prozent der derzeitigen Weltversorgung, der Rest kommt zumeist von Nicht-OPEC Ländern. Vor 1973 haben die Ölstaaten der OPEC buchstäblich die gesamte Weltproduktion beherrscht. Aber dann hat Amerika herausgefunden, dass die OPEC nicht nur die Ölproduktion, sondern mit ihr auch einen Großteil der Weltwirtschaft kontrolliert. Das OPEC- Ölembargo 1973 war verheerend und führte zu einer Rezession. Es überzeugte Regierungen, dass Alternativen zur OPEC-Abhängigkeit überlebenswichtig sind. Erkundungen wurden finanziert und neue Felder erschlossen.
Prognosen besagen jedoch, dass bis 2010 etwa die Hälfte des Erdöls für die USA von der OPEC geliefert werden wird - außer es wird etwas getan. Verschärft wurde das Problem dadurch, dass sich Ölfirmen nur noch am Markt orientierten, was ihre wenigen Vorräte noch schneller abgebaut hat.
Faktor "Markt" bestimmt
Schon seit den 1970er-Jahren hat Amerika eine Politik betrieben, in der ausschließlich der Faktor "Markt" immer stärker die Politik der Energieindustrie bestimmt hat. Das bedeutete, dass die Firmen darauf verzichtet haben, Reserven zu produzieren oder den wertvollen Treibstoff auf Vorrat zu bewahren, um auf unvorhersehbare Marktveränderungen vorbereitet zu sein. Während des letzten Jahrzehnts sind die Reserven der Ölindustrie um 75 Prozent zurück gegangen, so dass von den ursprünglich acht Prozent während der frühen 1990er-Jahre heute nur noch zwei Prozent übrig sind. Falls die Alaska Pipeline einen Defekt haben sollte, könnte das eine Wirtschaftskrise bedeuten.
Eine längeranhaltende Unterbrechung der Ölversorgung würde Schockwellen auslösen, die auf der ganzen Welt zu spüren wären - und der Hauptanteil der derzeitigen weltweiten Reserven liegt in Saudi Arabien. Die amerikanische Lösung ist nun, mit den unangezapften, nicht-OPEC Energiereserven in Zentralasien und dem Kaukasus dem wachsenden Einfluss der OPEC entgegenzuwirken.
1998 sagte der jetzige US-Vizepräsident Dick Cheney: "Ich kann mich an keine Zeit erinnern, wo eine Region so schnell an strategischer Bedeutung gewonnen hat wie jetzt die kaspische Region" - und damit auch die Afghanistan-Frage. Prognosen besagen, dass bis zum Jahr 2050 über 80 Prozent der weltweiten Öllieferungen aus Zentralasien kommen werden.
Afghanistans Bedeutung ergibt sich rein aus seiner Geographie: Es liegt zwischen Pakistans arabischer Meeresküste und den an Erdöl und Erdgas reichen Zentralasiatischen Republiken (CARs). Weil es schwierig wäre, einen Öltanker durch die Berge des Hindu-Kush zu steuern, müssen Öl- und Gaspipelines die Reichtümer der CARs zu einem am Meer gelegenen Export-Terminal bringen.
Eine Pipeline durch den Iran wäre möglich, ist jedoch politisch inakzeptabel. Pipelines durch Russland existieren, doch die CARs (frühere Sowjetrepubliken) und die USA wollen den russischen Einfluss so minimal wie möglich halten. Eine weitere Möglichkeit wäre unter dem Kaspischen See und durch die Türkei, doch als Hauptendverbraucher ist Asien und nicht Europa gedacht. So wurde eine afghanisch-pakistanische Route als die beste - die einzige - Möglichkeit konzipiert. Aber warum sich so viel Mühe machen, um Asien mit Öl zu versorgen? Heute sind die Öl- und Erdgasmärkte global und voneinander abhängig. Ein Engpass in einem würde die Preise in allen anderen hochtreiben. Die schnellwachsenden Wirtschaftsräume in Asien brauchen Treibstoff und so begann 1995 der Kampf um afghanische Öl- und Erdgaspipelines.
Mit der Hilfe der US-Regierung wurde die kalifornische Firma "Unocal" einer der wichtigsten Spieler um die afghanischen Pipelines. Das einzige Hindernis für "Unocal" war der afghanische Bürgerkrieg. Bald unterstützten "Unocal" und die USA im Stillen die Taliban, weil sie hofften, dadurch den Bürgerkrieg beenden zu können und an das zentralasiatische Öl heranzukommen. 1998 beendeten die Angriffe auf die US-Botschaft allerdings die Unterstützung der Taliban durch die USA - es folgte ein Bombardement mit Marschflugkörpern.
Die Strategie der USA wurde von da an zweigleisig: Einerseits wurde mit den Taliban verhandelt, in der Hoffnung, dass eine politische Einigung erzielt werden könnte, andererseits wurden die Beziehungen zu den CARs gestärkt und afghanische Alternativen zu den Taliban gesucht.
Ölfirmen und Geheimdienste begannen erfolgreich, die US-Außenpolitik auf Afghanistan hinzusteuern. Aus der Sicht Amerikas - und das sagte auch "Unocal"-Vizepräsident John Maresca vor dem Kongress aus - waren die Energieressourcen Zentralasiens, die wirtschaftlichen Interessen der USA und die US-Außenpolitik "schwer von einander zu trennen". Und bereits 1996 warnte der UN-Untergeneralsekretär für Humanitäre Angelegenheiten, dass es bei der Intervention in Afghanistan nur um den Kampf um Öl- und Gaspipelines geht.
Trotz Beteuerungen, dass dem nicht so sei, gingen die Verhandlungen der USA mit den Taliban bis in den Sommer 2001 weiter. Gleichzeitig wurden militärische "Partnerschaften" mit den CARs rund um Afghanistan ausgehandelt. Dann wurde letzten Juli ein alternativer "Friedensplan" für Afghanistan in Weston Park, Großbritannien, zusammen mit Vertretern aus 21 Ländern, der Nordallianz und dem früheren afghanischen König Zahir Shah, aus dem Boden gestampft.
FBI-Untersuchung blockiert Amerika war so erpicht auf das Öl, dass das US-Außenministerium eine FBI-Untersuchung der Attacke auf das US-Schiff Cole in Jemen blockiert hat. Sie hofften, damit weitere Komplikationen mit Bin Laden und den Taliban zu vermeiden. (Der FBI Vizedirektor John O'Neill trat wegen dieser Behinderung zurück. Durch eine Ironie des Schicksals wurde er Chef der Sicherheit im World Trade Center und starb am 11. September.) Die frühere CIA- Mitarbeiterin Christina Rocca führte die Verhandlungen zwischen dem US-Außenministerium und den Taliban.
In der Zwischenzeit, etwa zehn Tage nach Weston Park, hielten Vertreter des Iran, Russlands, Pakistans und der USA ein geheimes und schicksalsträchtiges Treffen in Berlin ab. Die USA hatte tatsächlich Milliarden von Dollar in Kommission für die Taliban bereitgehalten, falls diese kooperierten. Aber nun deckten veröffentlichte Berichte auf, dass bei Nicht-Kooperation "eine zeitlich unbestimmte militärische Option gegen Afghanistan von Basen in Usbekistan und Tatschikistan aus" gedroht hat. Tage zuvor war den Taliban gedroht worden, dass durch die "Zahir Shah Option" ersetzt werden könnten.
Seit dem Treffen in Berlin wies Tom Simons, einer der US-Vertreter in Berlin, die Behauptung zurück, dass in Berlin eine Drohung ausgesprochen worden war. Er sagte, er habe keine offizielle Befugnis und keine Autorisation, Drohungen auszusprechen. Es wird jedoch berichtet, dass die bei dem Treffen anwesenden Vertreter unter der Leitung ihrer jeweiligen Außenministerien gehandelt haben. Pakistan gab die Informationen aus Berlin an die Taliban weiter. Am 2. August hatte Christina Rocca ihre letzten Gespräche mit dem Botschafter der Taliban in Pakistan. Es wird berichtet, dass zu einem Zeitpunkt während der Reihe von Verhandlungen den Taliban ein Ultimatum gestellt wurde: "Entweder ihr nehmt unser Angebot über einen Teppich aus Gold an oder wir begraben euch unter einem Teppich aus Bomben".
"Zahir Shah Option"
Nach den dramatischen Ereignissen des 11. Sepetember ist nun die "Zahir Shah Option" tatsächlich eingetreten und heute ist Hamid Karzai der Kopf der Übergangsregierung in Afghanistan. Vor einiger Zeit hat er als Berater für "Unocal" gearbeitet, wie auch der US-Gesandte in Afghanistan, Zalmay Khalilzad, "Unocal"-Chefberaterin war.
Im Oktober, kurz nachdem das US-Bombardement auf Afghanistan begonnen hatte, traf der US-Botschafter in Pakistan mit dem pakistanischen Erdölminister zusammen. Pläne, die "Unocal"-Pipeline zu errichten, wurden erneuert und die Zukunft ausgerichtet.
Übersetzung: Barbara Ottawa