Das Projekt eines energieunabhängigen Stadtteils in Graz ist nur eines von vielen.
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Wien/Graz. Vereinzelte Passivhäuser in ländlicher Gegend, in denen suspekte Ökofreaks wohnen, war einmal. Vielmehr scheinen mehrgeschoßige Wohnbauten und ganze Stadtteile, die umweltgerecht gebaut sind und vor allem ihre Energie selbst erzeugen, das Wohnprinzip der Zukunft zu sein. Schießen doch derzeit Projekte dieser Art wie Schwammerl aus dem Boden. Ob ein gerade entstehender energieautarker Grazer Stadtteil, das erste Bürgersolarkraftwerk in Wien oder die Vorzeigestadt Güssing, die sich mit Wärme, Strom und Kraftstoff selbst versorgt: Der Trend geht in die Richtung, Energieunabhängigkeit und urbanes Wohnen zu vereinen, sind sich Städtebauer und Architekten einig.
"Früher wollte man Energie sparen. Da unser Energiebedarf aber nicht wirklich gesunken ist, muss man nun Wege finden, die Energie ressourcenschonend und umweltfreundlich zu nutzen und dennoch komfortabel zu wohnen", sagt Karin Stieldorf, Professorin für Architektur an der Technischen Universität Wien. Die Umsetzung in die Praxis steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. "Die größte Herausforderung bei Gebäudekomplexen ist, dass der Energieaustausch untereinander funktioniert. Das ist nicht so einfach wie bei einem einzelnen Passivhaus", meint Ernst Rainer vom Institut für Städtebau, Technische Universität Graz, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Hier müsse vor allem an der Feinabstimmung gefeilt werden, welche Gebäude mit bestimmten Energiespitzen zusammengehängt werden. Günstig wäre, ein Bürogebäude mit dem größten Energieverbrauch am Vormittag, wenn die Computer hochgefahren werden, mit einem Supermarkt und einer Wohnanlage mit abendlicher Energiespitze zu verbinden.
Im Rahmen des von der Stadtbaudirektion Graz initiierten und geförderten Pilot-Forschungsprojektes "ECR_Energy City Graz-Reininghaus" erstellen Rainer und sein Team derzeit Leitlinien zur energieoptimierten Stadtentwicklung, erste Ergebnisse sollen nächstes Jahr vorliegen. Forschungsobjekt ist jener geplante Stadtteil im Westen von Graz, der energieunabhängig agieren und mit dessen Bau noch im Mai begonnen werden soll.
Energie für Büronachbarn
"Auf 17.000 Quadratmetern werden in Holz-Lehm-Bauweise zwölf mehrstöckige Plusenergiehäuser mit 143 Wohneinheiten entstehen", präzisiert Martin Partoll, Geschäftsführer der Bauträgergesellschaft "Aktiv Klimahaus GmbH", die die Anlage um rund 30 Millionen Euro errichtet. Die Energiekosten für die 57 bis 130 Quadratmeter großen, geförderten Wohnungen sollen durchschnittlich bei 25 Euro pro Monat liegen. Werden sie doch hauptsächlich über Solarpaneele auf den Dächern sowie mit Erdwärme versorgt - und leiten überschüssige Energie an die benachbarten Bürogebäude, ein Altenheim und einen Supermarkt weiter.
Bleibt dann immer noch Energie über, wird sie in Akkus von Elektroautos gespeichert, die im Carsharing-Prinzip als Zweitauto dienen. Ein Teil der Anlage soll laut Partoll im Herbst 2013 bezugsfertig sein, eine ähnliche Siedlung gibt es seit 2010 in Kramsach in Tirol. Bis 2016 soll wiederum in Graz nahe dem Hauptbahnhof ein weiterer Stadtteil entstehen, für den im Zuge des "Smart-City"-Projektes energiesparende Technologien eingesetzt werden. Europaweit laufen 60 "Smart-City"-Projekte, mit denen aufgezeigt werden soll, wie in Städten der hohe Energiebedarf gesenkt werden kann.
Auf Selbstversorgung mit Geothermie setzt das Stadtentwicklungsprojekt Aspern, die Seestadt Wiens, die derzeit in der Donaustadt entsteht. Im November startete hier "Wien Energie" mit dem Bau für Österreichs größtes Geothermie-Kraftwerk, das die Seestadt mit Wärmeenergie versorgen wird. Ebenfalls im Vorjahr hatte die rot-grüne Regierung eine Wiener Solaroffensive angekündigt - am 4. Mai 2012 eröffnete das erste Bürgersolarkraftwerk in der Donaustadt, an dessen Paneelen sich die Bürger finanziell beteiligt hatten. Ein halbes Paneel kostete 475 Euro. Indem es der Käufer an "Wien Energie" vermietet, erhält er jährlich 3,1 Prozent des investierten Betrages. Bis Herbst soll es insgesamt vier Bürgersolarkraftwerke geben. Auch Fernwärme und -kälte sind Formen der Energieautarkie in Wien.
Ziel für Österreich
Vorzeigestadt ist allerdings Güssing im Südburgenland. Seit Jahren versorgt sie sich selbst mit Energie und will dieses Prinzip nun auf den gesamten Bezirk ausweiten. Blickt man auf Gesamtösterreich, ist das Ziel Folgendes: Bis 2050 soll das ganze Land energieautark werden, wie Umweltminister Nikolaus Berlakovich verkündete. Sei es doch laut einer Machbarkeitsstudie möglich, dass sich Österreich ab dann zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie selbst versorgt.
Wie sich Städte entwickeln müssen, um bei der Verwirklichung dieses Ziels mitzuwirken, ist laut Stieldorf zwar nur ein Teilaspekt. Dass sich die Bevölkerung aber zunehmend mit nachhaltigen Wohnprinzipien identifiziere, sei förderlich. "Neben Ökologie und Ökonomie bilden nämlich die sozialen Aspekte eine der drei Säulen der Nachhaltigkeit."
Siehe auch:
Analyse: Energieautarkie - eine Illusion?