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Die Aussichten sind für den Wirtschaftsstandort pessimistischer als für die großen Industriekonzerne.
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Deutschland gilt als der wirtschaftliche Motor der Europäischen Union. Insofern muss ein Schwächeln der dortigen Industrie ganz Europa Sorgen bereiten. Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland dürfte heuer um 2,5 Prozent und im kommenden Jahr um rund 5 Prozent schrumpfen. Die größten Rückgänge sind in den energieintensiven Industrien zu erwarten. Die Unternehmen in diesen Sektoren haben die meisten kurzfristigen Möglichkeiten genutzt, um von Gas auf andere Energieträger umzusteigen oder die Energieeffizienz weiter zu erhöhen. Weitere Schritte waren und sind die Drosselung der Produktion, die Schließung einzelner Werke und/oder die Verlagerung der Produktion in Fabriken im Ausland.
Wenn wir in etwa zehn Jahren auf die aktuelle Energiekrise zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung (zuletzt ein Fünftel) wird in den nächsten Jahren voraussichtlich sinken. Die künftige Regulierung der Energiemärkte und -preise ist ein wichtiger Unsicherheitsfaktor und wird die Entwicklung der Industrie beeinflussen. Die geplanten Gas- und Strompreisbremsen mildern zwar die negativen Folgen der hohen Energiepreise für die Unternehmen ab. Es würde den Staat jedoch finanziell überfordern, wenn er auch mittelfristig die Energiepreise für industrielle Endkunden (vor allem Gas) spürbar subventionieren wollte.
Die Aussichten für den Industriestandort Deutschland sind pessimistischer als jene für die großen Industrieunternehmen, die ihre Aktivitäten besser internationalisieren und Produktionsstandorte nach ihren individuellen Kosten- und Kundenstrukturen wählen können. Für den Mittelstand, insbesondere in den energieintensiven Branchen (Chemie, Metallerzeugung, Baustoffe, Papier), wird die Anpassung an eine neue Energiewelt eine größere Herausforderung, an der manche Firmen scheitern werden.
Die jüngsten Daten zur Inlandsproduktion und zu den Auftragseingängen zeigen, dass zumindest der nächste zyklische Abschwung (nach dem Corona-Schock und den damit verbundenen Unterbrechungen der Lieferketten) in den meisten Industriesektoren begonnen hat. Hohe Gas- und Strompreise, eine weltweite Konjunkturabschwächung und eine schlechtere wirtschaftliche Stimmung, die auf die Investitionsneigung drückt, sind und bleiben die Hauptfaktoren für den drohenden Einbruch, der just zu einem Zeitpunkt einsetzen dürfte, zu dem die wirtschaftlichen Verluste durch Corona noch nicht wieder ausgeglichen sein werden.
Die Investitionsgüterproduzenten sind bisher weniger pessimistisch als die energieintensiven Industrien. Die Auftragsbestände bei Autoindustrie, Elektrotechnik und Maschinenbau liegen - nach den ersten Corona-Wellen samt Lieferkettenunterbrechungen - auf einem Rekordhoch. Allerdings dürften einige dieser Aufträge wegen höherer Preise, steigender Zinssätze oder einer verschlechterten wirtschaftlichen Lage der Kunden storniert werden.