Laut Ukraine-Experten Sherr richtet Kiews Energiepolitik großen Schaden an.
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"Wiener Zeitung": Wie beurteilen Sie die Energiepolitik der Ukraine?James Sherr: Es ist das fundamentale Problem der ukrainischen Energiepolitik, dass die Gewinne aus dem Energiemarkt - dem es an Transparenz fehlt, der grotesk ineffizient ist und nicht im Interesse des Landes arbeitet - nur einem sehr engen Kreis von Personen zugute kommen. Zurzeit zahlt die Schwerindustrie einen viel niedrigeren Preis als den Listenpreis - und das mit der Erlaubnis der Behörden. Das wiederum hält die Wirtschaftstreibenden unterwürfig.
All diese Arrangements - also die versteckten Vergütungen, die Methoden, die in jedem EU-Land als Diebstahl betrachtet würden - schaden der gesamten Wirtschaft zutiefst und machen das Land zu einem viel größeren Energiekonsumenten, als es sein müsste.
Was unternimmt die ukrainische Regierung dagegen?
Sie ist lediglich dazu bereit, Bedingungen für ausländische Investitionen zu schaffen, damit sich Investoren engagieren und neue Energieressourcen erschließen. Das Kernproblem - also wie die Energiemärkte grundsätzlich funktionieren - rührt sie nicht an. Denn all diese Dysfunktionalitäten befähigen die Regierung, sich Macht und Einfluss zu sichern.
Wie wird sich das angespannte Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland weiterentwickeln?
Die Russen werden nicht aufhören, jegliche Art von wirtschaftlichem Druck auszuüben, bis sie entweder bekommen, was sie wollen - und das sind die Kontrolle über das ukrainische Gastransitsystem inklusive der Speicherkapazitäten und eine Zollunion mit der Ukraine. Oder aber Russland kommt zur Ansicht, dass diese Ziele nicht mehr erreichbar sind. Heute ist es aber der Meinung, dass es sich in einer sehr starken Position befindet und die Ukraine stufenweise in alle Forderungen einlenken wird.
Zur Person
James Sherr, ein Analyst der britischen Denkfabrik "Chatham House", hat EU und Nato über Entwicklungen in der russischen und ukrainischen Politik beraten.