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Energiepolitik zurück in der Realität?

Von Gero Vogl

Gastkommentare
Gero Vogl ist emeritierter Professor für Physik an der Universität Wien. Davor war er Dozent an der TU München, Professor an der Freien Universität Berlin und Direktor am Helmholtz-Institut für Materialien und Energie Berlin. Vogl stellte fest, wie wenig wir alle die wirtschaftlichen und physikalisch-technischen Zusammenhänge der elektrischen Energie durchschauen. Er hält daher im Sommersemester mit Experten aus der Energiewirtschaft an der Universität Wien die Vorlesung "Woher kommt unser Strom wirklich?".

-sterreich ist beim europäischen Wettbewerb, welches Land die sogenannten Kyoto-Ziele am höchsten überschreitet, Zweitbester geworden.


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Jetzt ist es so weit: Das Ende der Energiewende ist in Europa eingeläutet; die EU-Kommission hat sich von den marktschreierisch ausgewiesenen 20:20:20-Zielen für Europa 2020 verabschiedet in der Erkenntnis, dass sie unrealistisch waren.

In der Panik, dass diese Ziele ja sozusagen schon "übermorgen" erreicht werden müssten, und in der Erkenntnis, dass weder die Energieeffizienz noch der Anteil der erneuerbaren Energie sich bis 2020 um 20 Prozent steigern und das Volumen an ausgestoßenen Treibhausgasen - also bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe freiwerdenden Gasen - sich nicht um 20 Prozent reduzieren würde lassen.

So hat man die Ziele in einer Form, die das Versagen verschleiert, auf den als Sankt Nimmerleinstag angesehenen 31. Dezember 2030 verschoben und das Reduktionsziel für die Treibhausgase kühn auf 40 Prozent erhöht. Die restlichen Ziele hat die EU-Kommission in der Versenkung verschwinden lassen beziehungsweise den einzelnen Staaten anheimgestellt.

-sterreich hat seit einigen Monaten einen neuen Umweltminister, der sich offenbar nicht an die unrealistischen Vorgaben seines Vorgängers "Energieautarkie, 250.000 Elektrofahrzeuge bis 2020" (©Nikolaus Berlakovich) gebunden fühlt. Allerdings: Er hat sich bereits erstaunlich weit hinausgelehnt mit der Aussage, die Ziele der EU, die Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren, seien "mutlos".

Erstaunlich, denn -sterreich ist beim europäischen Wettbewerb, welches Land die sogenannten Kyoto-Ziele am höchsten überschreitet, Zweitbester, sozusagen Vize-Europameister hinter Luxemburg geworden. Schon bei den nach der Klimakonferenz in Kyoto benannten Zielen hatte -sterreich nämlich den Streber gespielt: Wir hatten eine kräftige Reduktion der Treibhausgase bis zum Jahr 2012 zugesagt, haben aber in Wirklichkeit 2012 sogar mehr Treibhausgase ausgestoßen als 1990! Das waren um 13 Prozent mehr als im Kyoto-Protokoll vereinbart. Es dürfte allgemein bekannt sein, dass sich Umweltminister Berlakovich mit Geld der Steuerzahler freigekauft hat. Er hat im Sommer 2012 um 690 Millionen Euro Verschmutzungsrechte, sogenannte Zertifikate, gekauft, um mit diesen "flexiblen Maßnahmen" (Originalton EU) Ablass zu erlangen.

Vor kurzem ist der alle sechs Jahre fällige Bericht des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) erschienen. Die "Weisen" empfehlen die Rettung des Klimas durch verstärkten Ausbau von Solarenergie, Wind- und Kernkraft. Jetzt könnte auch bei uns in -sterreich in der Diskussion um die Zukunft der Energieversorgung mehr Realismus und bessere Aufklärung der Bevölkerung stattfinden. Die Verantwortlichen könnten realistische Ziele nennen und die religiös anmutende Heuchelei um Energieautarkie und Kernenergie-Hysterie endlich beenden.

Das wird noch dauern, wir sollten aber bedenken, dass unsere Nachkommen nicht nur Klima-Rettung brauchen, sondern auch Rohstoff-Reserven, also Erhaltung fossiler Energierohstoffe. Kraftwerke müssen in absehbarer Zukunft wegkommen vom Verbrennen von Kohle, -l und auch Erdgas. Und wir brauchen das Bewusstsein, dass nicht jede(r) als einzelner Fahrgast im eigenen Auto überallhin kommen muss.