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Energiepreise einst und jetzt

Von Walter Lüftl

Gastkommentare
Walter Lüftl ist Zivilingenieur für Bauwesen und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger.

Alle sprechen von der Energiekrise und exorbitant steigenden Energiepreisen. Dabei ist die Energie zu billig und wird deswegen sinnlos verschwendet.


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1 Kilowattstunde (kWh) Erdgas kostet derzeit für Endverbraucher etwa 0,063 Euro (Weltmarktpreis etwa 0,03 Euro/kWh), 1 kWh Strom kostet etwa 0,166 Euro (alles inklusive "stranded costs" und Subventionen für Alternativenergien sowie sonstige Nebenkosten inklusive Umsatzsteuer).

1979 kostete 1 KWh Strom zum Haushaltstarif in Wien inklusive
8 Prozent Umsatzsteuer 1,03 Schilling, 1 KWh Erdgas 0,348 Schilling.

1938 kostete 1 KWh Strom in Wien 44 Reichspfennig, 1 Kubikmeter Stadtgas 20 Reichspfennig. 1938 verdiente ein Facharbeiter 1,03 Reichsmark und ein Hilfsarbeiter 0,67 Reichsmark pro Stunde.

Setzen wir jetzt den "durchschnittlichen Wiener" mit 160 Reichsmark pro Monat an, so ergibt sich folgendes Bild: Der Durchschnitt der Wiener Familienerhalter konnte sich von seinem Einkommen bestenfalls 364 KWh Strom oder 800 Kubikmeter Stadtgas kaufen, ein Hilfsarbeiter vom (48-Stunden!-)Wochenlohn 73 KWh Strom oder 161 m³ Stadtgas.

Über das Äquivalent kWh (1 m³ Stadtgas = 5,35 KWh, 1 m³ Erdgas 11,16 KWh) hätte das Erdgas 1979 nur 8,75 statt 34,8 Groschen kosten dürfen. Heute ist die Relation fast gleich. Gemessen an den damaligen Energiepreisen wurde also Gas relativ um ein Viertel der heutigen Preise abgegeben und wir wären bei Beibehaltung der Stadtgaserzeugung aus Steinkohle nicht von Russland erpressbar geworden.

Und was verdient der "durchschnittliche Wiener" heute? Man denke an die "Armutsgrenze"! Er konnte sich 1979 bei angenommenen 10.000 Schilling netto ca. 9700 kWh Strom und 28.736 kWh (=2575 m³) Gas kaufen. 2012 kann er sich bei 1500 Euro netto ca. 9000 kWh Strom und 23.810 kWh (=2133 m³) Gas kaufen.

Aber gehen wir zurück zum Beginn des 20. Jahrhunderts und schauen uns eine Baukalkulation aus dem Jahre 1908 an: Die Bobertalsperre wurde 1909 bis 1911 von der Liebold AG, Holzminden Berlin zwischen Mauer und Hirschberg in der Nähe von Agnetendorf erbaut.

1 kWh Strom kostete 0,10 Mark. Ein Polier verdiente 7,50 Mark, ein Bauführer 10 Mark, ein ungelernter Arbeiter 3,50 Mark. Ein Hilfsarbeiter konnte sich bei einer 60-Stunden-Woche (Arbeitszeit im Sommer Montag bis Samstag 11 Stunden, im Winter 8 Stunden) von einem Tagelohn 35 kWh, von einem Wochenlohn 210 kWh kaufen, im Monat also knapp 910 kWh.

(Man beachte: Ein Wiener Hilfsarbeiter konnte sich 1938 nur 73 kWh kaufen! Strom war also gemessen an den Einkünften eines deutschen Hilfsarbeiters 1909 für einen Wiener Hilfsarbeiter 30 Jahre später Luxus!)

Der deutsche Hilfsarbeiter hatte also einen heutzutage äquivalenten Monatslohn von (910 x 0,166 =) 151 Euro, der Polier (151 x 7,5/3,5 =) 324 Euro.

Alles in allem zeigt sich, dass wir für Energie derzeit nicht einmal ein Zehntel dessen aufwenden, was sie unsere Väter, Großväter und Urgroßvätern gekostet hat, und dass wir unseren Planeten deswegen - insbesondere an fossiler Energie - so ausplündern, weil die Energie heute praktisch keinen spürbaren Preis hat.

Energie ist auch heute noch viel zu billig!