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Energieschub für "Bosporus-Tiger"

Von Helmut Dité

Politik

Türkei als Brücke zu großen Öl- und Gasreserven - und mit großem Potential für Erneuerbare. | Istanbul/Wien. "Die Türkei ist für Österreichs Wirtschaft ein wichtigerer Partner als alle asiatischen und lateinamerikanischen Schwellenländer" - Marco Garcia, österreichischer Handelsdelegierter für Istanbul und die Marmararegion, legt als Beweis für seine These beeindruckende Zahlen vor: Die österreichischen Exporte an den "Tiger am Bosporus" haben m Vorjahr erstmals die Marke von einer Milliarde Euro überschritten - und dabei gegenüber 2009 gleich um 40 Prozent zugelegt. Die Zwei-Milliarden-Marke wird bis 2015 angepeilt.


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Nach der Delle im Krisenjahr 2009 ist die türkische Wirtschaft in beeindruckendem Tempo gewachsen: 2010 stieg das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) um fast 9 Prozent; für heuer und nächstes Jahr werden jeweils fast 6 Prozent Wachstum für möglich gehalten. Die Liste der österreichischen Unternehmen, die in der Türkei investieren, wurde in den letzten Jahren rasch immer länger: Von Banken und Versicherungen über den Caterer Do&Co - der als erstes ausländisches Unternehmen auch an der Istanbuler Börse notiert ist -, den Gewürzhändler Kotany und die Baumax-Handelskette reicht sie bis zu den heimischen Energieriesen OMV und Verbund.

Deren Großakquisitionen vor allem haben dafür gesorgt, dass Österreich 2010 der weitaus größte ausländische Investor in der Türkei wurde. Von den insgesamt rund 9 Milliarden US-Dollar, die im Vorjahr in die Türkei flossen, kamen 1,8 Milliarden von österreichischen Firmen. Allein die OMV ließ sich 2010 die vollständige Übernahme des größten türkischen Mineralölhändlers Petrol Ofisi - mit mehr als 2500 Tankstellen im ganzen Land - rund eine Milliarde Euro kosten.

Für OMV ist die Türkei der dritte Kernmarkt

Die Türkei ist für den österreichischen Energieriesen OMV nicht nur der dritte Kernmarkt - neben Österreich und Rumänien- sondern vor allem auch die strategische Brücke zu den Gas- und Ölquellen der türkischen Nachbarn, wie OMV-Chef Gerhard Roiss kürzlich bei seiner Antrittspressekonferenz in Wien hervorhob.

"Die Türkei wird die Versorgungssicherheit Europas in Bezug auf Öl und Gas verbessern", fasste der internationale Berater AT Kearney im Frühjahr die Ergebnisse einer umfangreiche Studie zusammen: "Ein wesentlicher Teil der weltweiten Öl- und Gasreserven befindet sich in den Nachbarländern der Türkei. Infrastrukturprojekte wie die Nabucco-Gaspipeline sind ein wichtiger Schlüssel, um diese Reserven für den europäischen Markt zu öffnen - und zu verhindern, dass diese Ressourcen von Ländern wie Russland, Indien oder China für sich erschlossen werden."

Daneben ist die Türkei einer der am schnellsten wachsenden Energiemärkte der Welt. Deshalb begnügt sich die OMV nicht mit der Rolle des mit rund acht Millionen Tonnen Jahresumschlag größten Treibstoffhändlers - so große Wachstumschancen sich auch in einem Land bietetn, in dem erst rund 100 Autos pro Tausend Einwohner rollen, statt mehr als 500 wie in Westeuropa. Sie steigt auch in das Strom- und Gasgeschäft ein. 2012, nach der Fertigstellung eines im Bau befindlichen Gaskraftwerkes mit einer Leistung von 870 Megawatt (MW) in der Schwarzmeerstadt Samsun - einer der gut zehn stark wachsenden "Tigerstädte" der Türkei außerhalb der boomenden Istanbul-Region - wird man rund drei Prozent des türkischen Strombedarfs decken.

Verbund setzt auch auf Wasser und Wind

Auf zehn Prozent der türkischen Stromversorgung will Österreichs größter Stromerzeuger Verbund bis 2015 mit seiner türkischen Tochter Enerjisa - einem 50:50-Joint Venture mit der türkischen Sabanci-Holding - kommen. Ein 780-MW- Gaskraftwerk hat Enerjisa im Vorjahr in Bandirma ans Netz gebracht, nachdem bereits 2009 das Verteilnetz der Region Ankara mit 3,2 Millionen Kunden übernommen wurde. Bis 2015 sollen die Erzeugungskapazitäten auf 5000 Megawatt ausgebaut werden - auch mit Wasserkraft und Windparks.

Die AT Kearney-Studie bescheinigt dem Land ein "hervorragendes Potential für alle erneuerbaren Energien", ja sogar "eine einmalige Stellung": "Die Sonnenstunden in der Türkei sind ebenso hoch wie etwa in Spanien, allerdings mit deutlich größeren verfügbaren Flächen; die Winde am Marmarameer sowie an der Mittelmeer- und Ägäis-Küste sind gleich stark wie an der Nord- und Ostsee. Und das Wasserkraftpotential zählt zu den höchsten in Europa - das ungenützte wirtschaftlich realisierbare Potenzial beträgt beinahe 90 Milliarden Kilowattstunden jährlich", heißt es.

In ihrem "Strategic Energy Plan" setzt die türkische Regierung sehr ambitionierte Ziele für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen: Bis 2023 soll der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung auf 30 Prozent erhöht werden, 20 Gigawatt sollen allein in Windparks installiert sein.

Enerjisa eröffnete vor wenigen Wochen in Anwesenheit von Premierminister Recep Tayip Erdogan das Wasserkraftwerk Hacininoglu (142 Megawatt, zum Vergleich: das Kraftwerk Freudenau hat eine installierte Leistung von 172 Megawatt). Das 120-Millionen-Euro-Laufkraftwerk am Ceyhan-Fluss im Süden der Türkei ist einer Kaskade von drei weiteren in Bau befindlichen Wasserkraftwerken vorgelagert, die mit zusammen 325 Megawatt Leistung bis Ende 2012 in Betrieb gehen werden.

Ebenfalls heuer im Frühjahr wurde der erste Windpark des Enerjisa-Joint Venture in Canakkale (30 MW), in Betrieb genommen.

Brücke nach Osten auch für Baukonzern

Auch die Liste der türkischen Unternehmen in Österreich wird rasch länger und umfasst neben Banken und Handelsbetrieben seit dem Vorjahr auch eine 10-Prozent-Beteiligung der türkischen Renaissance Gruppe am zweitgrößten heimischen Baukonzern Porr. Eine 50:50-Joint-Venture-Tochter der beiden soll vor allem auf den Märkten in Russland, rund um die Kaspische See und in den Ländern des Nahen Ostens Projekte an Land ziehen.

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