)
Bedeutender Fortschritt für die Luftfahrt, erfolgreiche Tests in Hamburg.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Tübingen. Können Großraum-Flugzeuge mit weniger Umweltbelastungen auf dem Flughafen unterwegs sein? Dies ist möglich, sagen Ingenieure des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Stuttgart, die das weltweit erste elektrisch betriebene Bugrad konstruierten. Es ersetzt die großdimensionierten Turbinen, die nur noch für den Startvorgang und das Fliegen selbst benötigt werden. Mit diesem Bugrad, das selbsttätig Großraum-Flugzeuge auf dem Flughafen zum Startplatz und zurück zum Gate bewegen kann, ist dem DLR-Institut Stuttgart ein großer technischer Fortschritt gelungen. Die Jets müssen auf dem Airport nicht mehr durchgehend ihre riesigen Haupttriebwerke knattern lassen, was die sonst üblichen Lärmemissionen um 100 Prozent und den Schadstoff-Ausstoß insgesamt um etwa 17 bis 19 Prozent senken wird.
Bis Ende Juni 2011 haben Ingenieure der Lufthansa, der Airbus GmbH sowie des DLR-Stuttgart das elektrisch betriebene Bugrad auf dem Flughafen Finkenwerder bei Hamburg erfolgreich getestet. Zuvor hatten Josef Kallo und sein Team das Bugrad im Labor umfassenden Belastungs-Tests unterzogen, wie sie in der Praxis kaum vorkommen. Dem Team vom Institut für Technische Thermodynamik des DLR gelang eine Innovation, die sich viele Airlines, Flughafen-Betreiber und Anrainer wünschen: Jets, die geräuschlos zum Start rollen und nach der Landung ebenso lautlos zum Gate zurückkehren - ohne die riesigen Düsen-Triebwerke zu benutzen. Dies ermöglicht das elektrisch angetriebene Bugrad, in dessen Radnaben zwei kleine, leise, moderne E-Motoren installiert wurden. Sie können aus dem Stand einen über 50 Tonnen schweren Airbus A 320 samt Passagieren rückwärts aus dem Andock-Gate befördern. Mit 15 km/h maximaler Geschwindigkeit in Vorwärts-Richtung rollt der Jet ohne jegliche Lärm- oder Schadstoff-Emissionen über das Rollfeld zur angewiesenen Start- beziehungsweise Warteposition! Dies ist kein Zukunftsszenario mehr, sondern Realität. Nach der Landung kann der Airbus-Pilot seine Triebwerke gleich ausschalten. Der Flieger muss trotzdem nicht von Schleppfahrzeugen über das Rollfeld geschleppt werden, er kann selbständig zum Gate oder seinem Zielpunkt rollen. Dies erspart dem Flughafen-Betreiber viel Planungsarbeit, Zeit und Geld.
Die Lösung mit dem elektrischen Bugrad ist weltweit einzigartig. Sie ist nicht nur umweltfreundlich, sondern auch ökonomisch: Bei einem angenommenen Kurzstrecken-Betrieb des Airbus A 320 mit sieben Starts und Landungen pro Tag rechnet DLR-Chefingenieur Josef Kallo vor, spart sein elektrisches Bugrad 200 bis 400 Liter Kerosin für die üblichen Flugzeug-Bewegungen am Boden. Nach Thomas Mühlhausen, DLR-Institut für Flugführung, liegt das Einsparpotenzial zum Beispiel auf dem größten deutschen Flughafen Rhein-Main bei Frankfurt - nur für ankommende und abfliegende A-320-Maschinen - bei 44 Tonnen Kerosin pro Tag. Und noch weitere Einspareffekte ergeben sich: Durch das frühere Ein- und Ausschalten der Turbinen verringert sich deren Betriebsdauer pro Flug - es werden durchschnittlich 34 Minuten Umlaufzeit bis zum nächsten Start kalkuliert -, was wiederum die Wartungsintervalle für die Techniker verlängert und die Betriebskosten reduziert.
Längere Lebensdauer
Summa summarum führt das elektrische Bugrad zu einer Einsparung von rund 1200 Betriebsstunden pro Flugzeug und Jahr. Diese Ersparnis verlängert die Lebensdauer des Airbus und somit dessen Rentabilität.
Ausgelegt wurden die beiden E-Motoren in der Radnabe für eine Gesamtleistung von 50 kW. Eine stärkere Motorenversion soll später 100 kWh Leistung erbringen, was dem Airbus am Boden eine Geschwindigkeit von 54 km/h verleihen würde. Bleibt noch die Frage: Woher beziehen die beiden E-Motoren ihre Energie? Die Antwort lautet: Aus der flugtauglichen Brennstoffzelle. Auch diese ist eine Eigenentwicklung des DLR-Stuttgart. Sie ist im Frachtraum untergebracht und produziert Strom, Abwärme und ziemlich reines Wasser. Die produzierten Wassermengen sind so beträchtlich, dass sie an Bord zum Beispiel für die WC-Spülung genutzt werden können.