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Energiesparhaus: gut – Verkehrssparhaus: besser

Von Matthias G. Bernold

Politik

Wer das Mobilitätsverhalten der Menschen ändern will, muss nicht zuletzt bei der Wohnbau- und Siedlungspolitik ansetzen. Das zeigt eine aktuelle Studie des VCÖ.


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Wien. "Wo wir wohnen und wie unser Wohnumfeld gestaltet ist, beeinflusst unser Mobilitätsverhalten", sagt Verkehrsexperte Markus Gansterer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ): Steuernde Maßnahmen bei Wohnbau und Siedlungsentwicklung zeitigen daher massive Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten. Weiteres Ergebnis: Durch entsprechende Konzepte können sowohl die Kosten für Wohnbau und Wohnen als auch jene für Mobilität reduziert werden. Die "Wiener Zeitung" fasst die Ergebnisse der Studie in acht Punkten zusammen.

1. Zersiedelung schafft Autoabhängigkeit
Es ist ein einfacher Zusammenhang: Je weiter die Menschen auseinander wohnen, umso eher sind sie auf das Automobil angewiesen. Während sich in dünn besiedelten Gebieten rund 70 Prozent der Bewohner täglich oder mehrmals pro Woche ins Auto setzen, sind es in dicht besiedelten Gebieten weniger als die Hälfte. Dagegen sind in dünn besiedelten Gebieten nur 12 Prozent täglich oder mehrmals die Woche mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, in dicht besiedelten Gebieten sind es vier Mal so viele. Besonders auffallend: In dicht besiedelten Wohngebieten wird doppelt so viel zu Fuß gegangen wie in dünn besiedelten Gebieten.

2. Raumordnungspolitik als Schlüssel
Die VCÖ-Untersuchung zeigt: Durch eine fehlende Raumordnungspolitik wurde Österreich in den vergangenen Jahrzehnten massiv zersiedelt. Deutlich stärker übrigens als in vergleichbaren Regionen, wie etwa Bayern oder der Schweiz. Die Folge: Es müssen mehr Kilometer zurückgelegt werden. Mangels Öffentlichem Verkehr und fehlender sicherer Infrastruktur zum Gehen oder Radfahren wird vor allem mit dem Auto gefahren.

3. Land-Menschen pendeln doppelt so lang
Am Land müssen die Menschen täglich zwei mal so weite Distanzen zurück legen wie in der Stadt. Regionale Mobilitätsdaten aus Tirol zeigen: Während die Innsbrucker im Schnitt nur rund 18 Kilometer pro Tag zurücklegen, spulen die Bewohner des ländlichen Raums mit rund 42 Kilometer mehr als doppelt so viele Kilometer ab.

4. Auto-Abhängigkeit als Kostentreiber
Eine durchschnittliche vierköpfige Familie hat monatliche Wohn- und Mobilitätskosten von 1.010 Euro. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie kein Auto hat. Mit Auto schießen die Kosten um zwei Drittel auf 1.690 Euro in die Höhe, mit zwei Autos sogar um mehr als 80 Prozent auf 1.860 Euro. "Wer wegen der Wohnkosten von der Stadt aufs Land zieht, wird in vielen Fällen von den deutlich höheren Mobilitätskosten überrascht sein", führt Gansterer aus.

5. Stellplatzverpflichtung verteuert Wohnen
In Österreich schreiben die Bauordnungen der Länder Pkw-Stellplatzverpflichtungen beim Neubau von Wohnungen oder Bürogebäuden vor: Pro Wohneinheit bzw. pro Anzahl der Mitarbeiter ist eine Mindestanzahl von Pkw-Parkplätzen zu errichten. Diese Mindestanzahl wird von vielen Gemeinden oft nochmals erhöht. Nachdem die Errichtung eines Tiefgaragenplatzes zwischen 15.000 und 25.000 Euro beträgt, bedeutet dies jedoch einen erheblichen Kostenfaktor. "Der Anteil einer Tiefgarage an den Gesamtkosten für eine durchschnittliche Wohnung beträgt etwa elf Prozent", erklärt Gansterer und verweist auf eine Studie der Wirtschaftskammer Tirol. Demnach bestehe bei der Stellplatzverpflichtung mit 50 bis 250 Euro pro Quadratmeter das größte Sparpotenzial im Wohnbereich.

6. Streusiedlungen sind Energiefresser
Streusiedlungen verschlechtern nicht nur die Umweltbilanz der Mobilität. Auch darüber hinaus verursachen sie enorme Kosten. Wie der VCÖ vorrechnet, sind pro Wohneinheit bei einem freistehenden Einfamilienhaus die Erschließungskosten für Straße, Kanal, Trinkwasser und Strom mit durchschnittlich 24.200 Euro doppelt so hoch wie bei einem Reihenhaus und dreieinhalb bis zehnmal so hoch wie bei mehrgeschoßigen Wohnbauten. Eine Wohneinheit bei einem Einfamilienhaus in Streulage beansprucht rund neunmal so viel Fläche wie ein dreigeschoßiges Mehrfamilienhaus und weist einen viermal höheren Gesamtenergieverbrauch auf.

7. Kontraproduktiv: Niedrigenergiehaus auf grüner Wiese
Der Energieverbrauch der Haushalte für das Wohnen ist in den vergangenen Jahren dank umfassender Maßnahmen deutlich reduziert worden. Gleichzeitig hat der Bau von geförderten Energiesparhäusern auf der grünen Wiese dazu beigetragen, dass der Energieverbrauch des Verkehrs steigt. So hat ein herkömmliches Einfamilienhaus ohne Auto einen Gesamtenergieverbrauch (Wohnen und Mobilität) von 17.700 kWh pro Jahr, ein Niedrigenergiehaus ohne Auto reduziert den Verbrauch auf 10.700 kWh. Mit Auto verdoppelt sich der Energieverbrauch auf 21.400 kWh. Wenn dann noch ein Zweitauto nötig wird, kommen weitere 5.000 kWh dazu. "Im Sinne der Energie- und Klimaziele ist es wichtig, das Energiesparhaus zum Verkehrssparhaus weiter zu entwickeln", betont Gansterer.

8. Öffi-Anbindung als Voraussetzung bei Neubauten
Für Verkehrsexperten Gansterer ist eines jedenfalls klar: "Bei Wohnsiedlungen und Bürogebäuden ist auf die gute Anbindung an den Öffentlichen Verkehrs zu achten." Zudem sei der Verdichtung der Ortskerne und bestehender Siedlungsgebiete der Vorrang zu geben. Diese Kriterien sollten in der Wohnbauförderung berücksichtigt werden, ebenso die Schaffung eines vielfältigen Mobilitätsangebots bei Wohnanlagen mit Car-Sharing, E-Mobilen und Lastenfahrrädern. Werden solche Projekte forciert, können die Baukosten und der Flächenverbrauch deutlich reduziert werden.

Die neue VCÖ-Publikation "Wohnen, Wohnbau und Mobilität" ist in der Schriftenreihe "Mobilität mit Zukunft" erschienen und beim VCÖ erhältlich.