Genom des Quastenflossers zeigt Verwandtschaft mit Landwirbeltieren.
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Berlin. Auch wenn Biologen sich daran gewöhnt haben, dass alle paar Wochen das Erbgut eines weiteren Organismus entschlüsselt wird, überrascht sie nun ein Paukenschlag: Chris Amemiya von der University of Washington in Seattle und 90 Wissenschafter aus aller Welt haben das Erbgut eines lebenden Fossils präsentiert.
Der Quastenflosser steht für 800 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte. Vor 420 Millionen Jahren lebte ein letzter gemeinsamer Vorfahre von Quastenflosser und Mensch. Aus ihm entwickelten sich die Fische mit dem wissenschaftlichen Namen Latimeria chalumnae auf der einen Seite. Im gleichen Zeitraum entstanden - von Eidechsen über Vögel bis hin zu Menschen - die Wirbeltiere an Land. Den Beinamen "lebendes Fossil" hören Biologen aber nicht so gerne: "Schließlich entwickelt sich der Quastenflosser ja weiter", erklärt Axel Meyer von der Universität Konstanz, Spezialist für die Evolution von Fischen.
Früher hatten Biologen vermutet, dass diese Tiergruppe mit den Dinosauriern vor 65 Millionen Jahren ausgestorben sei. 1938 aber holten Fischer einen lebendigen Quastenflosser vor der Mündung des Flusses Chalumna in Südafrika aus dem Meer. Später wurden weitere Exemplare entdeckt.
Manfred Schartl von der Universität Würzburg hat gezeigt, dass heute im Indischen Ozean vor Tansania und Südafrika lebende Quastenflosser sich genetisch kaum unterscheiden von einer in Indonesien lebenden Art, Latimeria menadoensis. Die Evolution scheint bei ihnen also einen Gang zurückgeschaltet zu haben. Diese Entwicklung im Schleichgang konnten Meyer und seine Kollegen nun anhand des Erbguts des Quastenflossers bestätigen. "Die Baupläne für die Proteine entwickeln sich langsamer als jene der Landwirbeltiere", berichtet Meyer in "Nature".
Quastenflosser leben in 200 bis 500 Meter Meerestiefe. Dort existieren so wenige Fische, dass normale Energieverbraucher verhungern würden. Der Quastenflosser ist aber ein wahres Energiesparwunder und kann überleben. Weil sich aber in den Tiefen selbst in Jahrmillionen nicht viel verändert, können sich die Tiere eine langsamere Entwicklung als die entfernte Verwandtschaft auf dem wechselhafteren Land leisten. Heutige Quastenflosser besitzen auch noch Eigenschaften, die den gemeinsamen Vorfahren von vor 420 Millionen Jahren ähneln. Ihre Schwimmbewegungen erinnern an den Gang eines Salamanders. Der Verdacht liegt nahe, dass ihre Vorfahren auch die Vorfahren von Salamandern und damit von Mäusen und Co. sein könnten, die mithilfe dieser Gangart einst an Land kletterten. Den Beweis liefert eine "Insel 1" genannte Erbinformation im Erbgut des Quastenflossers, die in Mäuse-Embryos bei der Entwicklung der Gliedmaßen entscheidend ist. Zudem haben sich bei den Landwirbeltieren genau jene Erbeigenschaften verändert, die mit dem Riechen zu tun haben.
Stickstoff-Entsorgung
Viele Biomoleküle in Organismen enthalten Stickstoff, der nach dem Abbau dieser Moleküle als giftige Ammoniumverbindungen vorliegt. Fische werden den Sondermüll einfach los, weil er sich in Wasser löst, das sie beim Atmen durch ihre Kiemen spülen. An Land aber müssen die meisten Tiere Wasser sparen und könnten nur einen Bruchteil des Stickstoffmülls loswerden. "Land-Wirbeltiere wandeln Ammonium deshalb in Harnstoff um, von dem relativ große Mengen mit relativ wenig Wasser im Urin ausgeschieden werden", erklärt Schartl. Die Eigenschaften für die Stickstoff-Entsorgung im Erbgut des Quastenflossers würden zeigen, dass sich das für den Harnstoff-Weg entscheidende Gen CPS 1 zwischen "Quasti" und Wirbeltieren einschneidend verändert hat.
Wer die Entwicklung zu den Landwirbeltieren verstehen will, kommt am Quastenflosser-Genom also nicht vorbei.