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Engelbert und die rüstigen Pensionisten

Von Georg Friesenbichler

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Was der Eurovision Song Contest mit dem Pensionsantrittsalter zu tun hat und warum wir nicht bis zum Tode arbeiten sollten.


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In knapp einem Monat soll also der Schlagersänger Engelbert Großbritannien beim Eurovision Song Contest vertreten. Der Mann ist 76. Wollen uns die Briten etwa damit beweisen, dass man auch noch im hohen Alter leistungsfähig ist?

Die Rache David Camerons an Rest-Europa ist es jedenfalls nicht, denn die Propaganda, dass nur längeres Arbeiten unsere Pensionssysteme sichert, hat längst auf dem ganzen Kontinent Erfolg. Nachdem sich vor zwei Jahren ein Sturm der Entrüstung erhob, als die EU-Kommission vorschlug, man solle bis 70 arbeiten, spricht sie mittlerweile lediglich noch davon, dass das Rentenantrittsalter der Lebenserwartung angepasst werden soll. Bedeuten tut beides das Gleiche.

Dabei sind auch jene, die die Argumentation der Experten für schlüssig halten, privat anderer Meinung. "Sehr vernünftig", bekommt man zu hören, wenn man aus dem Job aussteigen will. "Ich würde es auch so machen, wenn ich es mir leisten könnte", lautet der Tenor der freundlichen bis neidischen Kommentare.

Man muss nicht gleich an den Begriff der "entfremdeten Arbeit" denken, jene vom jungen Karl Marx geprägte Definition, die in den letzten 40 Jahren aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist, obwohl sie so gut auf die heutige Berufswelt passt. Aber die zitierten Reaktionen zeigen, dass die meisten Menschen die Arbeitsverhältnisse ganz anders wahrnehmen als die wenigen Privilegierten, bei denen Beruf und Berufung in eins fallen. Dazu gehören oft Führungskräfte, Freiberufler oder eben Musiker wie Engelbert. Einer Steirerin, die täglich stundenlang nach Wien pendelt, um hier an der Billa-Kassa sitzen zu können, wird man hingegen die Erhöhung des Pensionsalters für Frauen nur schwer schmackhaft machen können. Oder dem Bauarbeiter das Arbeiten bis 70.

Nein, nein, rufen die Experten, für solche Schwerarbeiter gilt das natürlich nicht, aber wenn jemand nur am Schreibtisch sitzt, wird er doch bis 70 . . . Etliche Kollegen und ich können Durchleuchtungsbilder über unsere Bandscheibenvorfälle zur Diskussion beisteuern.

Seltsamerweise scheint der Glaube verbreitet, dass höhere Lebenserwartung mit bester Gesundheit bis ins hohe Alter einhergeht. Ja, gewiss, es gibt die rüstigen Senioren, die in der Pension Bergwanderungen oder Fernreisen unternehmen. Aber es gibt auch jene, die schmerzhaft täglich spüren, dass Altern auch körperlichen Verfall bedeutet. Gleichzeitig schrauben die Chefs den Arbeitsdruck immer höher, sodass auch wesentlich jüngere Mitarbeiter an ihre Grenzen gelangen - und darüber hinaus. Manche von ihnen arbeiten dann tatsächlich lebenslang, weil sie lange vor Erreichen der Pension sterben.

Eine neue Kultur im Umgang mit den Älteren brauche es, wird an die Unternehmen appelliert. Aber diese profitieren vom Prinzip, dass man leben soll, um zu arbeiten, statt arbeiten, um zu leben. Warum sollten sie davon abweichen? Bis die frommen Wünsche in Erfüllung gehen, denken die meisten arbeitenden Menschen doch lieber an die Worte, die Engelbert in seinem größten Hit sang: "Please release me, let me go . . ."