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Im Jubeljahr sollen sie plötzlich | gefährlich sein. | Oder doch nicht? Oder was nun? | Homburg. Es war 1912, als der amerikanische Biochemiker Casimir Funk aus Reiskleie eine stickstoffhaltige Verbindung isolierte, die er auf den Namen Thiamin taufte und für deren Beschreibung er die Stoffklasse der "Vitamine" einführte. Es zeigte sich in der Folgezeit, dass von den inzwischen 20 bekannten Vitaminen 13 für den Stoffwechsel unerlässlich sind. Sie helfen bei der Verwertung von Nährstoffen, unterstützen die Energiegewinnung, greifen in den Auf- und Abbau von Zellen ein und unterstützen das Immunsystem.
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Damit sind Vitamine unverzichtbar für den Menschen und gelten deshalb als gesund. Dem abendländischen Prinzip von Ursache und Wirkung folgend gilt demgemäss: Krank = gleich zu wenig Vitamine, gesund = gleich viele Vitamine. Also kauften etwa die Deutschen alleine im Vorjahr 7,5 Millionen Packungen an Vitaminzusatzpräparaten und gaben dafür mehr als 58 Millionen Euro aus, um gesund zu bleiben oder es zu werden.
Ein Großteil dieser Präparate soll im Körper als "Freie Radikale" bezeichnete aggressive Sauerstoffverbindungen abfangen, ehe diese möglicherweise Zellen zerstören. Als Radikal-Fänger (Antioxidantien) gelten u.a. die Vitamine C und E, Betakarotin (die Vorstufe von Vitamin A) sowie das Spurenelement Selen.
Doch aktuell sorgen dänische Wissenschaftler um den Biochemiker Goran Bjelakovic bei den Konsumenten von Nahrungsergänzungsmitteln für Irritationen. Ausgerechnet die genannten Radikal-Fänger sollen das Sterblichkeitsrisiko erhöhen, haben die Forscher - wie berichtet - bei der statistischen Auswertung von 68 Studien errechnet, in die rund eine Viertelmillion Menschen eingebunden waren.
Unnötig für Gesunde
Doch der Experte Prof. Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim gibt Entwarnung: "Es gibt keinen Anlass, die positive Wirkung von Vitaminen aufgrund dieser Studie neu zu bewerten." Erklärungsbedarf aber ist vorhanden. Zunächst gilt: Positiv wirken Vitaminergänzungen sollten nur von kranken Menschen eingenommen werden. Und zwar gezielt solche Vitamine, die einen festgestellten Mangel beheben können. Gesunden Menschen nützen zusätzliche Vitamine nicht, sie schaden hingegen aber auch nicht, so Biesalski.
Das heißt, wer gesund ist, der braucht auch keine Nahrungsergänzungsmittel, die meist aus Kombinationen von verschiedenen und obendrein oft hoch dosierten Vitaminen bestehen. Das entscheidende Problem dabei ist, dass viele der beliebten Kombi-Präparate nicht in klinischen Studien untersucht wurden, weil Nahrungsergänzungsmittel nicht unter das Arzneimittelrecht fallen.
Wer also einen Vitaminmangel bei sich vermutet, der sollte sich zunächst medizinisch durchchecken lassen, bevor er dazu greift. Denn einen möglicherweise gestörten Stoffwechsel mit klinisch nicht geprüften Nahrungsergänzungsmitteln zu beeinflussen, die ja pharmakologisch wirksame Stoffe beinhalten, kann im besten Falle zwar die Gesundung fördern, es kann aber auch das Gegenteil eintreten.
Die dänischen Forscher führen das von ihnen errechnete erhöhte Sterberisiko darauf zurück, dass es sich um synthetische Vitamine handeln könnte. Aber, so Biesalski: "Der menschliche Organismus unterscheidet weder bei der Aufnahme noch im Stoffwechsel zwischen isolierten Vitaminen in Supplementen und denen aus Lebensmitteln."
Unterschiede gibt es
Allerdings, und auch das zeigen Labor-Forschungen, können hochdosierte, isolierte Vitamine durchaus eine schädigende Wirkung entfalten. 1000 mg Vitamin C pro Tag verändern nach Kenntnis des Lebensmittelchemikers Udo Pollmer z. B. den Östrogen-, Schilddrüsenhormon- und Insulin-Spiegel. Das ist eine Vitamin C-Dosis, der bereits eine antioxidative Wirkung zugesprochen wird.
Übrigens: Hundert Gramm Apfel enthalten 1500 mg Vitamin C. Auch der Apfel hat einen antioxidativen Effekt. Die Hormonspiegel lässt er aber zum Glück in Ruhe, weil er noch andere wichtige Substanzen enthält, die mit seinen Vitaminen in eine günstige Wechselwirkung treten.