Hat die EU inmitten einer dramatischen Krise wirklich keine anderen Sorgen als die Frage, welche Geschäfte welche Glühbirnen in welches Regal legen?
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Es bedarf keiner besonderen journalistischen Zuspitzungsarbeit, den Zustand der EU in diesem August 2012 als eher moribund zu beschreiben. Griechenland am Abgrund, der Euro bedroht, die Wirtschaft des Kontinents ermattet - und über all dem die dunklen Gewitterwolken einer vielleicht noch viel tieferen Krise. Ein Hauch von August 1914 liegt in der spätsommerlichen Luft.
Doch den wackeren deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger (Monatsgage rund 20.000 Euro plus heftige Zulagen) ficht das alles offenkundig nicht an. Mit titanischer Kraft kämpft er heroisch gegen die mächtigste aller Bedrohungen des europäischen Friedensprojektes: Das mit Anfang September von der EU verhängte Totalverbot herkömmlicher Glühbirnen wird von gewissenlosen schwerkriminellen Elementen unterlaufen, indem neuerdings - weiterhin erlaubte - "stoßfeste Spezialglühbirnen" in großen Mengen feilgeboten werden. Ruchlose Konsumenten ohne ausreichende europäische Glüh-Gesinnung fragen diese Birnen stark nach, was eben entsprechendes Angebot generiert.
Deshalb fordert die EU-Kommission jetzt von Deutschland, das diesem menschenverachtenden, neoliberalen Treiben entfesselter Glühbirnen-Märkte tatenlos zusah, endlich entschlossenes Durchgreifen. Und zwar nach Art des Hauses: in Form strenger Kontrollen. "Um derartige (Spezial-)Lampen legal zu verkaufen, müssen Hersteller sichtbar auf die Packung schreiben, dass die Birnen nicht für Haushaltslampen bestimmt sind", erläuterte Kommissionssprecherin Marlene Holzner die Rechtslage. "Es wäre inakzeptabel, diese Lampen im selben Regal wie LEDs oder Energiesparlampen für Normalhaushalte zu platzieren." Wäre ja noch schöner, wenn die Birnen in jenem Regal landeten, wo sie sich am besten verkaufen.
Deutschland scheint nach dieser harten Rüge in letzter Sekunde erkannt zu haben, dass es hier um eine Frage von Krieg und Frieden geht, wie immer im EU-Kontext: Schon hat die Stadt Berlin sieben zusätzliche Vollzeitplanstellen für die Fahndung nach Glühbirnenverbrechern geschaffen; vermutlich den Nukleus einer künftigen deutschen Glühbirnenpolizei, ja vielleicht gar einer künftigen EU-weiten Organisation zur grenzüberschreitenden Bekämpfung illegaler Lichtquellen.
Wer glaubt, hier in eine seichte Satire geraten zu sein, hat zweifellos recht. Doch es ist leider eine Realsatire, die auf dem Planeten Brüssel nicht zur Publikumserheiterung gegeben wird, sondern völlig ernst gemeint ist. Auf dem vorläufigen Höhepunkt einer existenziellen Krise des Kontinents mit dramatischen Auswirkungen auf 500 Millionen Bürger macht die höchste EU-Behörde Jagd auf Glühbirnen im Supermarkt und zerbricht sich den Kopf über den politisch korrekten Platz dieser Produkte im Regal. Geht’s eigentlich noch?
Die EU-Institutionen wurden seit der Gründung oft - auch zu Unrecht - als bürokratische Monster beschrieben, deren Lieblingsbeschäftigung das Bedrängen des Bürgers sei. Mit derartigen Blödheiten betreibt die EU freilich ganz massiv das Geschäft jener, die sie lieber heute als morgen auf dem Friedhof gescheiterter Ideen begraben möchten.
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